Volk und Stände haben der Initiative «Gegen Masseneinwanderung» zugestimmt. Wieder schafft es die SVP, gegen den geschlossenen Widerstand von Wirtschaft und Parteien eine Mehrheit von ihrem Anliegen zu überzeugen. Was sie damit erreicht hat, ist aber weniger klar als ihr Sieg.
Die Zustimmung zur Initiative liegt bei 50,3 Prozent, 49,7 Prozent stimmten dagegen. 17 Kantone hiessen die Initiative gut. Die Stimmbeteiligung liegt bei hohen 56,6 Prozent, was auf den emotional geführten Abstimmungskampf zurückzuführen sein dürfte: Befürworter wie Gegner kämpften um nichts Geringeres als um die Zukunft des Landes.
Die Sieger stehen nun fest: Trotz millionenschwerer Kampagne, trotz eines Grosseinsatzes auf Podien und Plakatwänden stehen Parteien und Wirtschaftsverbände zusammen mit dem Bundesrat in der Verlierer-Ecke. Gewonnen hat die SVP, sekundiert bloss von einigen Rechtsparteien und den Tessiner Grünen.
Einen Nerv berührt
Auch die Initianten führten eine aufwendige Kampagne und warben hartnäckig für die Initiative. Ausschlaggebend aber war, dass sie beim Volk einen Nerv berührt haben. Die Zuwanderung – nicht nur aus dem EU-Raum – hat der Schweiz in den letzten Jahrzehnten etwas von der Beschaulichkeit genommen, in der die meisten Stimmberechtigten aufgewachsen sind.
Während Jahrzehnten hatten viele ausländische Arbeitskräfte als Saisonniers zum Schweizer Wirtschaftswunder beigetragen, ohne sich hier niederlassen oder ihre Familien nachziehen zu können. Diese Ära ging mit der schrittweisen Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU ab dem Jahr 2007 definitiv zu Ende.
Unter dem Strich wuchs die Bevölkerung aufgrund der Zuwanderung aus dem EU/EFTA-Raum von 2007 bis 2012 um 350’000 Personen. Aber diesmal kamen nicht Bauarbeiter, sondern Ärzte, Ingenieure, Wissenschaftler, Manager und Pflegefachleute – Fachpersonal, das die brummende Schweizer Wirtschaft dringend brauchte, dabei zum ersten Mal aber auch den Mittelstand unter Druck setzte.
Emotionen überwiegen
Das dadurch ausgelöste Unbehagen wog offenbar stärker als Zahlen und Argumente: Die Schweiz ist als eine der solidesten Volkswirtschaften durch die Krise gekommen, mit fast ungebrochenem Wachstum und tiefer Arbeitslosigkeit. Zwischen 2007 und 2012 wuchs die ständige ausländische Wohnbevölkerung um nicht mehr als 2 Prozentpunkte.
Studien zeigen, dass die Löhne nur in den Grenzregionen unter Druck geraten sind. Schuld an Staus und vollen Züge ist die ständig wachsende Mobilität. Grund für Wohnungsnot und steigende Mieten sind nicht EU-Bürger, sondern zunehmender Platzbedarf, tiefe Zinsen und Spekulation.
Und doch will die Mehrheit der Bevölkerung, dass die Schweiz bei der Zuwanderung das Steuer wieder selbst in die Hand nimmt: Angenommen wurde die Initiative in fast allen Zentral- und Ostschweizer Kantonen sowie im Mittelland. Am deutlichsten war die Zustimmung aber im Kanton Tessin mit 68,2 Prozent.
Mit über 60 Prozent Nein verworfen wurde die Initiative dagegen in den Kantonen Basel-Stadt, Genf und Waadt. Auch die übrigen Westschweizer Kantone lehnten die Initiative ab. Der Röstigraben ist deutlich: Aus der Deutschschweiz finden sich neben Basel nur Zürich und Zug im Nein-Lager.
Es ist damit praktisch das gleiche Bild wie bei der Abstimmung über den EWR-Beitritt 1992. 50,3 Prozent der Stimmenden sagten Nein, das Ständemehr verfehlte die Vorlage klar. Auch damals sah sich die Romandie, die deutlich zugestimmt hatte, von der Deutschschweiz brüskiert: Der Röstigraben, den die Abstimmung aufgerissen hatte, belastete das Verhältnis zwischen Deutsch- und Westschweiz noch auf Jahre hinaus.
Ungewisse Folgen
Was genau am Sonntag mit der SVP-Initiative gewonnen oder verloren wurde, ist indes noch unklar. Die Schweiz muss die Zuwanderung wieder mit Kontingenten steuern, die auch das Asylwesen einschliessen. Ob der bilaterale Weg mit der EU damit zu Ende ist, ist derzeit völlig ungewiss.
Bundesrat und Parlament werden sich bemühen, die Schweiz auf bilateralem Kurs zu halten und die Initiative so umzusetzen, dass das Freizügigkeitsabkommen nicht verletzt wird. Auch die EU wird die bilateralen Verträge nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, ist die Schweiz doch ein wichtiger Handelspartner für die Mitgliedsländer.
Drei Jahre haben die beiden Seiten nun Zeit, eine Lösung für die Quadratur des Kreises zu finden. So lange wird auch unklar bleiben, ob das im Abstimmungskampf beschworene Schweizer Erfolgsmodell tatsächlich Schaden nimmt durch die Initiative. Das Erfolgsmodell SVP jedoch segelt nach dem Exploit mit Rückenwind dem Wahljahr 2015 entgegen.
Schlussspurt der SVP
Die SVP bediente sich zusehends schärferer Rethorik, umso näher der Abstimmungssonntag rückte. Schliesslich ging die Taktik auf, wie sich an dieser Grafik anhand der Entwicklung zwischen den ersten beiden Umfragen im Vorfeld der Abstimmungen und dem definitiven Endresultat erkennen lässt: