«Master of the Universe»

Was für einen Sinn macht es, für 22 Sekunden Besitzer einer Aktie zu sein? Rainer Voss stellt sich die Frage in Marc Bauders Film «Master of the Universe». Ein erschreckend erhellender Blick hinter die Machtfassaden der Finanzwelt. Rainer Voss vor den zukünftigen Turmruinen der Macht. Bei der «Semaine de la Critique» in Locarno wurde er […]

Was für einen Sinn macht es, für 22 Sekunden Besitzer einer Aktie zu sein? Rainer Voss stellt sich die Frage in Marc Bauders Film «Master of the Universe». Ein erschreckend erhellender Blick hinter die Machtfassaden der Finanzwelt.

Rainer Voss vor den zukünftigen Turmruinen der Macht.

Rainer Voss vor den zukünftigen Turmruinen der Macht.

Bei der «Semaine de la Critique» in Locarno wurde er preisgekrönt:  Marc Bauder hat mit seinem «Master of the Universe» ein Zeichen gesetzt und spielt nicht zufällig auf Tom Wolfes «Master of the Universe» aus dem «Fegefeuer der Eitelkeiten» an.

Die Bilder sind erschreckend kühl. Die Türme der Macht sind fast durchsichtig. Der Lift ins vierzigste Sockwerk ist aus Glas. Niemand scheint etwas zu verbergen zu haben. Besonders nachts wirken die Büros der Frankfurter Machtzentrale geradezu fahrlässig einsichtig. Trotzdem ist undurchschaubar, was hinter den Scheioben vorgeht. Nur selten will jemand erhellen, was sich hier abspielt, hinter dem Glas der Machtzentralen der Finanzindustrie.

Der deutsche Dokumentarfilmer Marc Bauder hat sich auf die Suche gemacht: Per Inserat in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» hat er einen Insider gesucht, der bereit ist aus der Zentrale der Macht zu berichten. Dann hat er Rainer Voss gefunden.

Das Geld wird zum Mittel der Umverteilung

In einem leer stehenden Büroturm traf er sich mit dem ehemaligen Bankmanager. Hoch über den Köpfen der Menschen streift er den Glasfassaden der Bürotürme entlang. In den verödeten Bürosäälen mit den endlosen Fensterfronten weitet sich sein Blick. Verstellt wird er nur durch die Machttürme der Finanzkonzerne. Deutscher Bank, Commerzbank und Co. mitten in der europäischen Machtzentrale des Geldes.

Voss skizziert eine mathematische Gleichung zu einem Franken/Yen-Swap auf die Glaswand vor ihm. Er redet über Finanzströme wie süchtige Fischer über ihre Jagdgründe. Er macht klar, dass es längst nicht mehr die Entscheidungen an der Pyramidenspitze der Finanzkonzerne sind, die die Schäden verursachen. Es sind die Trader an der Basis, die, je nach Limit, und je nach Fähigkeit, dieses Limit zu umgehen, die grössten Summen bewegen, um zu spekulieren.

Wo bleibt der Sinn für eine Investition von 22 Sekunden?

Voss verblüfft mit Offenheit. Und mit klaren Vergleichen. Selten habe ich den Irrsinn der Börsenspekulationen besser zusammengefasst gesehen als in diesen Zahlen: «Nach dem Krieg betrug die durchschittliche Besitzdauer an einer Aktie noch vier Jahre. Wer sich an einem Unternehmen beteiligen wollte, hielt also ein Papier durchschnittlich vier Jahre in seinem Depot. Der Aktionär verfolgte die Geschäftstätigkeit, kannte die Strategie und hielt das Papier auch bei einer absehbar kurzfristigen Baisse an der Börse. Heute liegt die durchschnittliche Besitzdauer an einer Aktie bei 22 Sekunden!»

Niemand kann voraussagen, was geschehen wird, wenn niemand mehr versteht, was geschah.

Bald wird klar, dass Voss nichts zu verbergen hat. Nein, nicht einmal etwas zu verstecken bemüht er sich. Im Gegenteil: Verstehen möchte er. «Ein Einzelner kann den Steuerbericht des Deutschen-Bank-Konzerns gar nicht mehr kapieren. Es können da nur noch ganze Kanzleien etwas dazu sagen, und, meist ohne die Garantie, dass sie sich nicht irren».

Voss erzählt mit ruhiger Stimme, fast heiter. Er weiss, was er sagen darf. Manchmal, wenn er zu weit geht, bricht er von selber ab: «Nein. Das sage ich nur off the record. Schalt mal die Kamera da aus». Dann folgen ein paar schwarze Sekunden auf der Leinwand, die uns das sagen, was wir gewohnt sind: Dass uns vorenthalten wird, was uns vorenthalten wird.

An der Börse können Sie auf alles Wetten, auch auf den Zusammenbruch

Voss ist kein Verzweifelter. Er hat in seinem Leben gut Kohle gemacht. Voss ist auch kein Verbitterter. Er hat aufgehört, bevor er seinen gesunden Menschenverstand verloren hätte. Voss ist aber auch kein Gewinner. Er bleibt beredt, auch wenn er den bevorstehenden Zusammenbruch skizziert. Nach Griechenland, Portugal und Spanien könnte es Frankreich sein. Frankreich. Dann heisst es «Rien ne va plus !». «Kein Plan B?» «Nein. Diese Banken hier haben einen Plan B für den  Fall, dass eine Atombombe einschlägt. Aber nicht für den Fall, dass diese Kreditkonstrukte aller einbrechen.» Aber das scheint Rainer Voss nicht von seinen klaren Gedankengängen abzuhalten.

Wenn er zum Beispiel im Geschäftsbericht die Liste der Rückstellungen vorliest, die die UBS für zukünftige Bussen wegen illegalen Praktiken tätigt, bleibt er ganz sachlich: Da habe man wohl Leuten was angedreht, was nicht koscher sei, der Stadt Mailand zum Beispiel, oder den Libor manipuliert, den Referenzzinssatz, zusammen mit anderen Grossbanken hat man da ein wenig die Märkte hinters Licht geführt … 

Nur einmal verstummt Rainer Voss. Als es um seine Familie geht. Da schüttelt er nur seinen Kopf. Da werden seine Sätze kürzer. Sein Atem flacher. Die Gedanken schweifen ab. Nein. Darüber reden will er nicht, sagt er, und sein Blick verliert sich in der Baustelle nebenan. Seit sechs Jahren baut die Europäische Zentralbank da ihren Turm. Je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln, könnte er schon leer stehen, ehe er eröffnet sein wird.

 

 

Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos.

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