Sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen galt lange als Tabuthema und ist es teilweise heute noch. Seit 20 Jahren sorgt die schweizweit anerkannte Fachstelle Castagna in Zürich dafür, dass darüber öffentlich gesprochen wird und Betroffene Hilfe bekommen.
Im vergangenen Jahr haben 1074 Betroffene aus der deutschen Schweiz bei Castagna Rat geholt. Das sind 5 Mal mehr als im ersten Beratungsjahr 1992. Fachstellenleiterin Regula Schwager führt diese Zunahme vor allem auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit zurück. Auf diesem Gebiet habe Castagna Pionierarbeit geleistet, sagte sie am Montag an einer Medienkonferenz.
Die Fachstelle ist spezialisiert auf die Beratung von sexuell ausgebeuteten Kindern, weiblichen Jugendlichen und Frauen, die als Kind missbraucht wurden. Bei den Beratungen machen diese drei Kategorien je einen Drittel aus, wie Co-Stellenleiterin Nadia Beier sagte.
„Die Täterinnen und Täter stammen fast immer aus dem nahen Umfeld des betroffenen Kindes oder der Jugendlichen“, sagte Beier. Das Perfide daran sei, dass das Vertrauen der Kinder in schändlicher Weise ausgenutzt werde. Zufällige Übergriffe seien selten. Im vergangenen Jahr waren in 900 Fällen Männer die Täter, in 41 Fällen Frauen und in 133 Fällen war das Geschlecht der Täterschaft nicht bekannt.
Mehr organisierte sexuelle Übergriffe
Geändert haben sich laut Schwager in den vergangenen 20 Jahren die Muster der sexuellen Ausbeutung. Eine starke Zunahme sei bei Übergriffen unter Jugendlichen zu verzeichnen. Gehäuft hätten sich aber auch Fälle von organisierter kommerzieller sexueller Ausbeutung von Kindern. Meist seien dabei auch die Eltern involviert.
Im laufenden Jahr widmet sich die Fachstelle vertieft der sexuellen Ausbeutung von Jugendlichen über Online-Kontakte. Das Wissen von Castagna sei bei Fachleuten aus der Kinder- und Jugendhilfe, bei Therapeutinnen, Anwälten, Medizinern, Polizei und Behörden sehr gefragt, hiess es an der Medienkonferenz.
Fachstelle erstattet keine Anzeigen
Konfrontiert wird die Fachstelle oft mit der Frage, ob Opfer Strafanzeige erstatten sollen. Darauf gebe es aber keine einfache Antwort, betonte Schwager. Die Fachstelle selber mache keine Anzeigen. Ihre Aufgabe sei es, den Entscheidungsfindungsprozess sorgsam zu begleiten.
Beraten werden Betroffene in Zürich von fünf Fachfrauen aus dem sozialen, pädagogischen und psychologischen Bereich. Seit 1993 ist die Fachstelle als offizielle Opferhilfestelle anerkannt. Getragen wird sie von einem Verein, dem rund 250 Mitglieder angehören.