Die politische Krise in Ägypten hat am Dienstag einen neuen Höhepunkt erreicht. Bei Zusammenstössen wurden am Abend mehrere Personen getötet.
Zehntausende Kritiker und Anhänger von Präsident Mohammed Mursi gingen wieder auf die Strasse, die Regierungsgegner auf den Tahrir-Platz, Mursis Anhänger in anderen Teilen Kairos. Bei Feuergefechten zwischen den zwei Lagern wurden nach Angaben von Medizinern sieben Menschen getötet, wie die Nachrichtenagentur AFP meldet. Bei den Schiessereien in Giza im Grossraum Kairo seien auch mehrere Personen durch Schüsse schwer verletzt worden.
Die Unruhen begannen nach Angaben aus Sicherheitskreisen, als Unterstützer des Präsidenten in Richtung Universität marschierten. Auch in der zweitgrössten Stadt Alexandria und in der nordöstlich von Kairo gelegenen Stadt Banha habe es Feuergefechte gegeben. In Alexandria wurden nach Spitalangaben mindestens 33 Menschen verletzt.
Die Muslimbruderschaft, der Mursi nahesteht, rief zum Widerstand auf: Als «Märtyrer» sollten die Anhänger der Muslimbrüderschaft die Errungenschaften der «Revolution» von Anfang 2011 verteidigen, forderte der Führer der Bewegung, Mohammed al-Beltagui.
Weiterer Rücktritt
Nachdem am Montag bereits vier Minister zurückgetreten waren, reichte am Dienstag Aussenminister Mohammed Kamel Amr seinen Rücktritt ein. Er ist das einflussreichste Kabinettsmitglied, das dem Präsidenten den Rücken kehrt. Auch Mursis Sprecher Ehab Fahmy und Regierungssprecher Alaa al-Hadidi stellten nach Angaben aus Regierungskreisen ihre Posten zur Verfügung.
Auch die Islamisten der salafistischen Nur-Partei stellen sich nun offen gegen Mursi und fordern laut Medienberichten vorgezogene Präsidentenwahlen.
Armee will offenbar Neuwahlen
Mursi kam kurz vor Ablauf eines Ultimatums der Armee mit Armeechef und Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi sowie Regierungschef Hischam Kandil zu einer Krisensitzung zusammen. In einer Erklärung hiess es, es werde «über die aktuellen politischen Entwicklungen beraten».
Falls sich Regierung und Opposition bis Mittwochnachmittag nicht einigen, will die Armee notfalls das Ruder übernehmen und einen eigenen Fahrplan aus der Krise vorlegen. Sollte Mursi nicht einlenken, beabsichtigt die Armee offenbar das von Islamisten dominierte Parlament aufzulösen.
Bis eine neue Verfassung vorliege, sollte ein vor allem aus Zivilisten bestehender Übergangsrat amtieren. Anschliessend würde ein neuer Präsident gewählt werden. Dies berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Militärkreise.
El Baradei ist Oppositionssprecher
Die Protestbewegung kritisiert Mursi wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf – für oder gegen den Islam.
Die neue «Stimme» der Opposition soll fortan Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei sein. Der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) solle ein «Szenario entwerfen», mit dem ein «politischer Übergang» ermöglicht werde, teilte die «Front des 30. Juni» als Dachorganisation der Opposition mit.