«Mein Herz ist im Iran zu Hause»

So genau wie er führt kaum ein Filmemacher seine Schauspieler, er ist aber auch einer der präzisesten Drehbuchschreiber der Gegenwart. Und zu allem ein Tänzer zwischen den Welten: Asghar Farhadi. Ein Gespräch mit dem Oscarpreisträger über Film, Theater und den Iran. Als Madonna dem iranischen Regisseur Asghar Farhadi 2012 den Golden Globe für seinen Film […]

So genau wie er führt kaum ein Filmemacher seine Schauspieler, er ist aber auch einer der präzisesten Drehbuchschreiber der Gegenwart. Und zu allem ein Tänzer zwischen den Welten: Asghar Farhadi. Ein Gespräch mit dem Oscarpreisträger über Film, Theater und den Iran.

Als Madonna dem iranischen Regisseur Asghar Farhadi 2012 den Golden Globe für seinen Film «Nader und Simin – Eine Trennung» überreichte, war die Furcht gross, dass sie ihn auf der Bühne küssen könnte. Einem Iraner ist es verboten, einer Frau in der Öffentlichkeit auch nur die Hand zu geben. Madonna war bei der Zeremonie höflich. Die Händeberührung fand nur am kalten Metall des Golden Globe statt.

Gespannt erwartete man von Farhadi ein Statment zu seinem Land. Er sagte aber nur, er denke an seine Familie im Iran. Und an sein Volk, das wirklich ein sehr friedliebendes Volk sei. Mehr war an Andeutung über seine Situation als Künstler nicht zu hören. Er machte damit klar, wie dünn das Eis für jene Iraner ist, die nicht Propaganda der offiziellen Politik vertreten. Wie angespannt die Situation für diesen friedliebenden Teil des Volkes ist, der stumm bleiben muss, ist, spiegelten auch die Karikaturen wieder:

«Asghar, nimm den Preis bevor Madonna dich küsst», von Mana Neyestani.

Auch für die Oscars 2014 ist Farhadi wieder im Rennen. So präzis wie er führt kaum ein Drehbuchautor und Regisseur seine Schauspieler. Asghar Farhadi lebt und arbeitet im Iran und in Frankreich. Wir trafen ihn vor der Première seines neuen Films in der Schweiz. 

Herr Farhadi, wenn wir einen iranischen Film sehen, wird gerne über versteckte Hinweise spekuliert, die uns etwas über den Zustand Ihres Landes sagen. Enthält Ihr neuer Film «Le Passé» symbolische Anspielungen über die Situation im Iran?

Ich möchte Symbole von Zeichen unterscheiden. Das ist kein symbolistischer Film. Hinter den Dingen stehen nicht andere Bedeutungen. Aber der Film enthält Zeichen. Wenn Sie diese Zeichen nebeneinander setzen, erhalten Sie Anhaltspunkte, wie sie den Film verstehen können. Wie zum Beispiel der Scheibenwischer die Schrift vom Fenster wischt. Oder wie der Dampf von der Fensterscheibe entfernt wird, um klare Sicht zu schaffen, oder dass alles übermalt wird.

Es kommt ein Fleck zur Sprache, der die ganze Vergangenheit in «Le Passé» überschattet, ein Fleck aus der Vorgeschichte, der nun in der chemischen Reinigung reingewaschen werden soll. Was meinen Sie damit?

Alle diese Zeichen wollen uns zeigen, dass die Menschen etwas wegwischen wollen, was sichtbar ist. Auch die Frau im Koma ist, so gesehen, ein Zeichen. Sehen Sie es als die grösste Ungewissheit, die der Mensch kennt: den Bereich zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Sie sind einer der wenigen Filmkünstler, die im Iran und im Ausland arbeiten können. Haben Sie manchmal Angst, dass Sie nicht mehr zurückkehren oder den Iran nicht mehr verlassen dürfen? Begeben Sie sich mit Ihrer Arbeit in Gefahr?

Wenn man Auto fährt, muss man immer mit einem Unfall rechnen. Sonst sollte man kein Auto besteigen.

Viele iranische Filmemacher können nicht mehr im Iran oder aber nicht mehr im Ausland arbeiten: Amir Naderi, Mani Haghighi und Jafar Panahi zum Beispiel. Versuchen iranische Regisseure untereinander Kontakt zu halten?  

Es gibt Kontakte, ja.

In welchem Land würden Sie am liebsten Filme drehen?

Mein Herz ist im Iran zu Hause. Trotz allen Widrigkeiten und Schwierigkeiten fühle ich mich dort lebendiger, wenn ich unter Menschen bin. Aber meine Einfälle spielen sich auch in anderen Ländern ab.

Sie haben in Paris mit ihren Schauspielern zwei Monate lang geprobt. Sie haben mit Ihnen Übungen gemacht, Improvisa­tionen zu den Situationen ihres Films – als würden Sie eine ­Theateraufführung vorbereiten. Warum das?

Ich habe meine künstlerische Arbeit am Theater begonnen. Ich habe auch für das Theater Stücke geschrieben. Ich kenne nach sieben Jahren Praxis die Arbeitsweisen, die man am Theater nutzt, um Rollen zu gestalten. Sie sind äusserst präzise.

Es gibt auch Regisseure, die ihre Schauspieler erst auf dem Set spielen lassen, weil sie auf der Jagd sind nach dem ersten Augenblick.

Ich habe als Regisseur am Theater gelernt, dass Schauspieler freier werden, je länger sie sich in einen andere Welt vertiefen können. Die Probezeit gibt den Schauspielern das Gefühl, sie hätten die Figur selber erschaffen. Vor drei Tagen habe ich in New York Mike Leigh getroffen, und ihn gefragt, wie lange er probt. Er sagte acht Monate. Das hat mich sehr neidisch gemacht. Ich werde nun im Iran auch acht Monate verlangen … (lacht).

Welche Autoren haben Sie am Theater beeinflusst?

Ich habe mich auf dem Theater mit grossen Autoren auseinandergesetzt: Ibsen, Strindberg, Tschechov, Ionesco und Tennessee Williams. Und ich habe von Ihnen gelernt, dass auf der Bühne von Interesse ist, was aus der Beziehung zweier Menschen erzählt wird. Ibsen und Strindberg haben Beziehungen seziert und daraus ihre Wirkung gezogen.

Haben Sie sich, als sie den Film schrieben, bewusst selber skizziert? Oder ist es Zufall, dass ihr Name Asghar im Gleichklang mit der Figur Ahmad geht?

Möglicherweise habe ich mich unbewusst in dem Film versteckt. In der Tat, Ahmad ist eine Figur, die auch bei «Alles über Elly» auftaucht. Aber sie ist nicht mein alter ego. Und auch das ist in «Le Passé» wieder so: Ahmad kommt von aussen dazu, und hat eine Frau aus einem anderen Land.

Hat Sie das dazu bewogen, in Ihren Filmen Menschen in Trennungssituationen zu zeigen?

Ich nutze Trennungen um etwas anderes zu erzählen. Die Trennung ist nie mein Hauptthema. In Trennungen sind Menschen verletzlich. Sie offenbaren sich. Als Zuschauer habe ich ein Recht darauf, Menschen in prekären Situationen zu begegnen. Trennungen bewirken, dass ihr Inneres deutlicher lesbar wird.

Die Figuren in «Le Passé» bitten sehr oft um Vergebung. Das ist ein wiederkehrendes Muster: Den Kindern wird beigebracht, sich zu entschuldigen.

Es ist tatsächlich so: Alle Figuren entschuldigen sich mindestens einmal. Aber eine Entschuldigung bedeutet nicht Vergebung. Die Beichte mit dem Ziel der Absolution kommt aus der westlichen Kultur. Die islamische Kultur kennt diesen Umgang mit Fehlhandlungen anders. Das Aussprechen der Schuld führt dazu, dass man sich mit der Vergangenheit noch einmal beschäftigt. Allein das Aussprechen ist schon eine Art Bestrafung. Wir bringen es unseren Kindern neuerdings bei, sich zu entschuldigen. Dadurch lehren wir sie, dass es eine Vergangenheit gibt. Eine Art Rückkehr zur Vergangenheit. Für die Kinder gibt es so etwas wie Vergangenheit noch nicht.

Ist das der Grund dafür, dass in ihrem Film immer wieder Kinder die Wahrheit an den Tag bringen? Samir erfährt von seinem Kind von dem anderen Mann. Ahmad hört von seiner Tochter von der Verlobung von Marie. Selbst die Schwangerschaft ist eine Botschaft eines Kindes.

Kinder haben immer zwei Funktionen in meinen Geschichten. Sie bringen Ehrlichkeit in die Geschichte, sie bringen Geheimnisse an den Tag. Und sie öffnen die Herzen für die Zukunft.

Stehen Sie auch für die Hoffnung auf die nächste Generation im Iran? 

Kinder schaffen im Film einen emotionalen Raum, der Erwachsene verstehen lässt.

Der Film ist in Frankreich wie ein einheimischer Film diskutiert worden? Im Iran auch?

Ich hätte diese Geschichte auch im Iran drehen können. Mit abweichenden Details. Insbesondere hätte ich zwei Besonderheiten verloren: Wir Iraner kennen die direkte Sprache nicht, wie sie etwa Marie im Film spricht. Wir drücken selten aus, was in unserem Inneren vorgeht. Marie hingegen benennt die Dinge. Sie konfrontiert Ahmad. Er hat ihr vor vier Jahren nicht gesagt, dass er sich trennen will. Von ihm erfahren wir nicht einmal, was er für einen Beruf hat. Diese Diskrepanz der Kulturen ist ein wichtiger Bestandteil. Hätte ich den Film im Iran gedreht, hätte ich die Aussage verloren.   

Die vierte Figur sagt gar nichts. Sie liegt im Koma. Ist das eine iranische Figur?

Sie ist die Französin. Sie ist die einzige Figur, deren Nationalität einheimisch ist. Alle anderen Figuren haben ihre Wurzeln nicht in Frankreich.

Das lässt uns rätseln, was diese schweigende Frau bedeutet. Ob sie ein Symbol ist für die Vergangenheit?

Sie ist ein Teil der Vergangenheit, von der wir nicht wissen, ob sie eine Zukunft haben wird. Sie lässt uns bis zum Schluss die wichtige Frage stellen: Ob diese Vergangenheit eine Zukunft haben wird. Ob sie Hand in Hand gehen werden. Diese Figur steht für die grösste Ungewissheit, die der Mensch kennt. Sie bewegt sich zwischen Leben und Tod.

Ihre Schauspieler haben Französisch gesprochen. Sie haben mit Dolmetschern inszeniert. Wie haben Sie die Nuancen mit dem Team erarbeiten können.

Ich bin mit der Familie nach Paris gezogen. Meine Tochter ist in Paris zur Schule und hat schnell französisch gelernt. Ich habe die Musik dieser Sprache rasch erfasst. Als ich mit den Schauspielern gearbeitet habe, hat es im Gegenteil zu mehr emotionaler Nähe geführt, sich nicht mit jedem Wort zu verstehen. Die Unkenntnis der Sprache ist in unserem Handwerk keine Barriere. Es ist wie immer, wenn eine Tür verschlossen bleibt: Andere Türen öffnen sich.

Macht diese Genauigkeit in den Gesten «Le Passé» so ruhig, leise, obwohl grosse Emotionen verhandelt werden?

Es ist ein ruhiger Film, weil etwas sehr Tiefes verhandelt wir. Deshalb habe ich auch mehrheitlich auf die Handkamera verzichtet. Was hier verhandelt wird, ist Vergangenheit. Die ist immer ­etwas fern.

Sie leben jetzt wieder im Iran. Werden Sie Ihren nächsten Film in der Heimat drehen?

Ich habe jetzt zwei Jahre in Paris gelebt mit meiner Familie. Seit einiger Zeit lebe ich wieder im Iran. Es wird sich weisen, welche Projekte als nächstes möglich sein werden.

Der Film endet mit einem Händedruck. Samir legt seine Hand in die Hand seiner Frau, die im Koma liegt. Ein Stück Hoffnung?

Die Zukunft liegt in der Hand der Vergangenheit.

Angelina Jolie und Asghar Farhadi begrüssen sich. Obwohl ein öffentlicher Händedruck mit einer Frau für einen Iraner verboten ist, bleibt Farhadi sich treu: Er setzt Zeichen, die ein Volk braucht, dass nur ganz leise seine Stimme heben darf.

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