Mein Verhältnis zur EU hat sich in den letzten Wochen abgekühlt. Wo einst Liebe war, ist heute Enttäuschung. Ein offener Trennungsbrief.
Liebe EU
Du hast mich enttäuscht. Wir sind zusammen aufgewachsen, ich war zwölf Jahre alt, jung und naiv, als ich mich in Dich verliebte. Du hast mir das Blaue vom Himmel versprochen. Es gehe Dir um die Menschen, um ein friedliches Zusammenleben, um Gerechtigkeit in Europa – damit hast Du mich hinter dem eidgenössischen Gartenzaun hervorgelockt.
Nicht nur die Starken, Reichen, auch die Schwachen hast Du in Deine Familie aufgenommen. Wow, endlich jemand, der nicht nur aufs Geld, sondern auch auf die inneren Werte schaut, dachte ich – mein Herz schlug umso heftiger für Dich.
Mein Umfeld – das ganze Land – fand, wir passten nicht zusammen. Du seist egoistisch, habgierig und würdest mir nicht gut tun. Ich wollte trotzdem mit Dir zusammensein und versuchte mein Umfeld davon zu überzeugen. Vielleicht war es auch gerade die unmögliche Liebe, die Unerreichbarkeit, die Dich so anziehend machte.
Meine Landsleute machten dann doch einen Schritt auf Dich zu. Wir unterschrieben diesen Konkubinatsvertrag, ein bilaterales Konstrukt, das am Schluss doch nicht mehr war als eine platonische Liebe. Für mich waren das bloss trockene Wangenküsse. Kein uneingeschränktes Geben und Nehmen, wie es zu jeder echten Liebe gehört – ein fauler Kompromiss, den ich als Rosinenpickerei abtat.
Im Frühjahr 2012 hab ich Dich besucht. Mit einer Gruppe von Studenten – die Dich ebenso sehr verehrten wie ich – waren wir in Brüssel, wo wir den gelebten Zentralismus bestaunten. Politiker-Horden, Lobbyisten-Heerscharen und stapelweise Bürokratie. Ganz ehrlich: Ich hatte mir das romantischer vorgestellt. Aber gut, so sachlich musste es wohl sein. Dachte ich.
Und jetzt das: Griechenland. Was ich als Sachlichkeit hinnahm, als etwas bürokratische Kühle, das zeigt jetzt sein wahres Ich.
Zuerst war ich ehrlich gesagt berührt ob Deiner Fürsorge für das kranke Kind des Südens. Du sprachst unentwegt von «Finanzhilfen», «Hilfspaketen» und Solidarität. Ich glaubte, zu verstehen. Und ich schmolz dahin.
Doch je weiter Deine Fürsorge ging, umso argwöhnischer wurde ich. Diese strenge Fürsorge, dieser mahnende Finger, dieses eiskalte Spiel mit der Abhängigkeit von Deinen Mitteln, Deiner Macht, nur um das Land im Bündnis zu halten. Allein um des Geldes willen.
Du hast es unterdrückt, gedemütigt, kontrolliert – Dinge, die man unter Partnern nicht tut. Deine Hilfen waren nicht für die Menschen. Deine Hilfen waren für Dich selbst. Für das System, für die Banken.
Von meiner Jugendliebe sind bloss leere Versprechen übrig geblieben. Du bist nicht mehr diejenige, in die ich mich verliebte. Vielleicht habe ich mich damals in ein Trugbild verliebt, in eine Idee, die gar nie existierte.
Die Idee, die die Menschen zusammenbringen wollte, entpuppte sich für mich als Projekt, das die Menschen spaltet. Um es Dir noch deutlicher zu sagen: Deine Werte, das Gemeinwohl über den Eigennutz zu stellen, hast Du verraten.
Liebe EU, ich wünschte, wir könnten diese Werte neu definieren und nochmals bei Null anfangen. Denn meine Liebe war echt.