Kuba ist ein beliebtes Ferienziel. Der Kommunismus verspricht Erholung vom Konsumismus. Wer die kubanische Zuckermelasse kosten will, findet einen Topf voll leisem Humor in «Melaza». Der Reichtum an Armut, Poesie und Überlebenstipps ist ein melancholischer Kontrast zur Glitzerwelt.
Wer sich auf diese Kuba-Reise vorbereitet, braucht nicht unbedingt zu wissen, wer der Mann mit Bart ist, der – in Eisen gegossen – auf kubanischen Plätzen herumsteht: Er war es, der im «Kapital» mit der «Anhäufung von Mehrwert» im 19. Jh. jenen Sprengstoff ausgemacht hat, der das Zusammenleben der Klassen dereinst gefährden könnte. Er konnte sich eine Welt ohne Kapital vorstellen. Was er sich kaum vorstellen wollte, war, dass es einst auch ein Land ohne Arbeit, der Quelle von Mehrwert, geben könnte.
Zwischen Zigarre und Zuckermelasse
In der Kuba-«Melaza» geht das so: Der Wind spielt im üppig grünen, kubanischen Zuckerrohr-Schilf, das den Weg links und rechts säumt. In langsamer Fahrt streichen wir durch eine stillgelegte Fabrikruine. Irgendwo zwischen riesigen Tinguely-Apparaturen und wuchtigen Luginbühl-Maschinen liebt sich nackt ein Paar. Um es herum steht Kuba still. Die Liebe aber lebt.
Für Aldo und Monica heisst aber Liebe etwas anderes, als wir es gewohnt sind. Fünfmal spielt der Wind während des Films im Schilf. Wie ein Refrain in einem fünfstrophigen Lied wird der Reichtum des Landes als wiederkehrender Bilderreim gezeigt: Das Zuckerrohr gibt keine Arbeit mehr, es gibt keinen Wohlstand mehr, es gibt nur noch einen Reim auf arme Schlucker. Carlos Lechuga, der junge Poet unter den Filmern Kubas, besingt auf humorvolle Art die Liebe zu seinem Land: Sie muss neu erfunden werden, wie Rimbaud das einst forderte.
Poetische Bilder der Liebe
Im Land der Zuckermelasse wird seit dem Zusammenbruch der Zucker-Industrie nicht nur eine Lebensform ohne Kapital ausprobiert. Auch eine ohne Arbeit. Trotz allem gibt der junge Lehrer noch Unterricht. Unverdrossen lässt er die Schüler schwimmen, auch wenn das Wasserbecken leer ist.
Das Liebespaar Aldo und Mónica kennt die klassischen Probleme einer junge Familie: Das Kind will nicht in die Schule, Mutter redet überall mit, Aldo sucht einen Job. Das kennen Familien im Gundeli auch. Auch, dass die Tochter übergewichtig ist, Mutter im Rollstuhl sitzt, und das Geld nicht für die Miete reicht klingt fast noch alltäglich.
Doch Aldo und Mónica leben in Kuba. Dort haben all diese Probleme eine ganz andere Dimension, als sie in der Nachbarschaft der Basel-World hätten. Da ist für die junge Familie nicht gleich nebenan der Brocki-Kleiderladen und der Caritas-Lebensmittel-Treff. Sie wohnen am Rande, in einem Kuba im Stillstand. Zu kaufen gibt es längst nichts mehr. Carlos Lechuga zeigt sein Land ganz im Banne der Tauschwirtschaft – ohne Schwermut. Und er legt die kubanische Musik wie ein traumhaftes Heilmittel über alles.
Eine poetische Erholung vom Konsumismus im Kommunismus
Es ist nicht der sorglose Salsa, der in «Meleza» erklingt: Es sind die unbeholfenen Gesänge der Schulkinder. Der scheppernde Sound zum Tanzanlass. Das schreiend povere Blas-Orchester, das sich die Erinnerungen an die Leistungen der Revolution aus dem Leibe bläst. «Melaza» kehrt die Bitterkeit über die Armut um, in einen poetischen Gesang über die Überlebensphantasie der Menschen:
Das Liebespaar ist nicht von seinem Plan abzubringen. Mit traurigen Augen und mit demütigem Starrsinn verfolgen Aldo und Mónica ihr Ziel. Zu Leben. Ein besseres Leben wäre schon ein zu weit gestecktes Ziel. Sie wissen ja auch nicht mehr, was Mehrwert ist.
MELAZA from trigon-film on Vimeo.
Der Film läuft in den Kult-Kinos.