Menschen geben ihr Essen weiter, statt es wegzuwerfen

Gemeinschaftskühlschränke werden in der Schweiz immer populärer. Eine erste Bilanz zeigt: Das Konzept, Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, die ansonsten im Abfall gelandet wären, funktioniert. Die Kühlschränke sind jedoch keine 24-Stunden-Tankstelle.

Gemeinschaftskühlschränke sind in. Sie sind ein Mittel gegen Foodwaste. (Archivbild) (Bild: sda)

Gemeinschaftskühlschränke werden in der Schweiz immer populärer. Eine erste Bilanz zeigt: Das Konzept, Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, die ansonsten im Abfall gelandet wären, funktioniert. Die Kühlschränke sind jedoch keine 24-Stunden-Tankstelle.

In einem Innenhof in der Altstadt in Winterthur stehen die Menschen Schlange. Die Attraktion ist Essen vom Vortag, das eigentlich im Abfall gelandet wäre und nun in zwei Kühlschränken für die Gemeinschaft bereit steht. «Innerhalb von zwei Stunden ist der Kühlschrank normalerweise leer», sagt Sarah Weibel von der RestEssBar Winterthur der Nachrichtenagentur sda.

Gemeinsam mit 35 freiwilligen Helferinnen und Helfern sammelt sie Gemüse, Früchte und Brot von verschiedenen Lebensmittelläden und füllt damit die Kühlschränke bis zu zwei Mal täglich nach. Rund 80 Touren macht das Team im Monat – selbstverständlich ganz umweltbewusst mit dem Velo.

Ein Drittel aller Lebensmittel landen im Abfall

Ziel des Projekts ist die möglichst vollständige Verwertung der produzierten Lebensmittel. «Wir wollen den Menschen vor Augen führen, wie viel Essen täglich weggeworfen wird», sagt Weibel. Ein Drittel aller Lebensmittel in der Schweiz gehen gemäss foodwaste.ch verloren. Das entspricht mehr als zwei Millionen Tonnen Esswaren pro Jahr.

Fast die Hälfte wird dabei in den privaten Haushalten verschwendet. Ein grosser Teil landet auch auf Kosten der Landwirtschaft und der Verarbeitung im Abfall. Detailhandel und Gastronomie machen gemeinsam nur einen Anteil von rund 10 Prozent aus.

Um die Schweizer Bevölkerung auf das Problem der Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen, wollte der Bund 2016 eine Kampagne zur Bekämpfung von Food Waste lancieren. Aus Spargründen musste das Vorhaben jedoch auf Eis gelegt werden.

Rund 1500 Winterthurer nutzen Kühlschrank

Gestartet hat Weibel die Aktion Anfang 2014 mit dem ersten Kühlschrank in der Schweiz. Unterdessen hat das Projekt zahlreiche Nachahmer gefunden. Öffentliche Kühlschränke gibt es auch in Bern, Luzern, Frauenfeld, Schaffhausen, Kreuzlingen und Olten. Projekte in St.Gallen und Wädenswil ZH sind in Planung.

Das Projekt RestEssBar Winterthur läuft gut. Rund 1300 Leute haben schon per Mail den Code für den Kühlschrank angefordert. Weibel geht von 200 weiteren Nutzern aus, die durch Mundpropaganda davon erfahren haben. «Ein schöner Nebeneffekt ist, dass ärmere Menschen vom Projekt profitieren», sagt Weibel. Der Kühlschrank steht aber allen offen und wird von allen Altersgruppen und sozialen Schichten genutzt.

Sehr viele sind dankbar und schätzen das Essen. «Es gibt aber vereinzelt Menschen, die vergessen haben, um was es beim Projekt geht», sagt Weibel. Gewisse sind unfreundlich, nehmen dem anderen den Kohl aus der Hand oder lassen das herausgefallene Gemüse liegen, wie der Verein auf restessbar.ch schreibt. Lösen soll das Problem nun ein Quiz, in welchem einfache Fragen zum Thema Food Waste beantwortet werden müssen. Erst dann erhält die Person Zugang zum Kühlschrank.

Keine 24-Stunden-Tankstelle

Der Verein sei zudem keine 24-Stunden-Tankstelle, betont RestEssBar Winterthur. Auch «Food Save Luzern» meldet, dass es ein Problem sei, dass viele Konsumenten stets einen vollen Kühlschrank erwarten. Teilweise würden sich sogar Lieferanten entschuldigen, wenn sie keine Lebensmittel zur Verfügung stellen können. «Wir hingegen freuen uns, wenn sie keinen Abfall haben und die Kühlschränke leer sind», sagt Nadine Schweiger vom Projekt «Food Save Luzern».

Seit April dieses Jahres stehen im Luzerner Kulturbetrieb Neubad ein öffentlicher Kühlschrank und ein Regal. Diese unterstehen strengen Lebensmittelvorschriften. «Unser Kühlschrank musste beim kantonalen Amt für Lebensmittelkontrolle als Detailhandel gemeldet werden», sagte Schweiger. Verarbeitete Lebensmittel sowie abgelaufene Produkte dürften nicht angenommen werden. «Das schränkt uns bei der Lebensmittelrettung stark ein», bedauert Schweiger.

Viele sind zu faul zum Vorausplanen

In Bern sind die Behörden liberaler. Beim Projekt «Bern isst Bern», das von vier Studentinnen lanciert wurde, können nebst lokalen Läden auch Private ihr Essen in den Kühlschrank legen. «Ein Grossteil des Abfalls wird Zuhause weggeworfen», sagt Kathrin Michel, eine der vier Initiantinnen. Viele seien nämlich zu faul, sich über die Haltbarkeit Gedanken zu machen und vorauszuplanen.

In Bern soll neben den vier bestehenden Kühlschränken bald ein weiterer in der Länggasse dazu kommen. «Schön wäre es, wenn es in jedem Quartier einen öffentlichen Kühlschrank geben würde», sagte Michel.

Das eigentliche Ziel der Lebensmittelretter ist jedoch, dass gar kein Essen mehr verschwendet wird, und dass es die Gemeinschaftskühlschränke langfristig gar nicht mehr braucht.

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