Erstmals seit Beginn des Ukraine-Konflikts vor über vier Monaten hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Kiew besucht und Millionenhilfe versprochen. Gleichzeitig forderte sie einen beidseitigen Waffenstillstand.
Bei ihrem Kurzbesuch in Kiew versprach Merkel am Samstag dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko Kreditgarantien in der Höhe von 500 Millionen Euro. Sie gelten für private Investitionen in die Energie- und Wasserversorgung sowie den Aufbau von Schulen.
Ausserdem stellt Deutschland laut Merkel 25 Millionen Euro bereit, um Menschen zu unterstützen, die wegen des Konflikts aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Schliesslich sollen 20 schwer verletzte Soldaten in Deutschland behandelt werden. Präsident Poroschenko sprach in Anlehnung an den Wiederaufbauplan für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vom «Beginn eines Marshall-Plans für die Ukraine».
Merkels Besuch in Kiew wurde dort als starkes Signal der Unterstützung verstanden. Poroschenko bezeichnete Deutschland als starken Anwalt der Ukraine in der EU. Am Dienstag trifft er den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Minsk.
Dabei geht es um das künftige Verhältnis zwischen der Ukraine, die mit der EU ein Freihandelsabkommen abschliessen will, und der von Russland geführten Zollunion.
Grenze kontrollieren
Merkel betonte, dass sie die Ukraine am Vorabend des Jahrestages ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion und 75 Jahre nach der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes besuche. Die deutsche Regierung wolle, dass alle Länder frei entscheiden könnten, welchen politischen Weg sie gingen.
Die Rechte der Ukraine müssten gewahrt bleiben und ein baldmöglichster Frieden sei nötig. Poroschenko setze sich für Reformen und eine Dezentralisierung ein, um den verschiedenen Regionen gerecht zu werden, lobt sie ihren Gastgeber.
Damit dies gelinge, dürfe die Kraft nicht auf die «militärische Auseinandersetzung gehen, die heute leider notwendig ist». Es müsse deshalb einen Waffenstillstand geben. Voraussetzung dafür sei eine effektive Grenzkontrolle, sagte Merkel.
«Mit einer offenen Grenze, über die Waffen aus Russland kommen, geht das nicht.» Der Westen und die Ukraine werfen Russland vor, die Rebellen mit Waffen zu versorgen. Die Regierung in Moskau bestreitet das.
Konvoi wieder in Russland
Auch ein russischer Hilfskonvoi stand im Verdacht, versteckt militärisches Material zu transportieren. Der Konvoi war am Freitag ohne Einverständnis der Ukraine und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) über die Grenze ins Konfliktgebiet gefahren. Noch am Abend wurden die Lastwagen laut dem russischen Staatsfernsehen in der umkämpften Rebellenhochburg Lugansk entladen.
Der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zufolge fuhren alle 227 Lastwagen am Samstag wieder zurück nach Russland. Die Ukraine hatte die Kolonne eine Woche lang aufgehalten, die nach Angaben Russlands Hilfsgüter wie Wasser und Babynahrung geladen hatte.
Die Grenzübertretung hatte in der Ukraine, aber auch in der EU, bei der UNO und in den USA harsche Kritik ausgelöst. Die umkämpfte Stadt Lugansk ist seit drei Wochen von Strom und Wasser abgeschnitten. Immer wieder geraten dort Flüchtlinge unter Beschuss. Nach Angaben der UNO sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht.
Die Offensive der ukrainischen Armee gegen die Stellungen der Separatisten ging am Samstag weiter. In der Industriestadt Donezk war ungewöhnlich starker Beschuss zu hören. Augenzeugen berichteten von Artillerieeinschlägen in Strassen und Häuser. Mehrere Personen seien getötet und Dutzende verletzt worden.