Merkel warnt vor neuem Antisemitismus 70 Jahre nach Kriegsende

Deutschland hat am Wochenende des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren gedacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte an einer Gedenkfeier zur Befreiung des KZ Dachau vor einem neuen Antisemitismus.

Merkel gedenkt in Dachau der Opfer des Konzentrationslagers (Bild: sda)

Deutschland hat am Wochenende des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren gedacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte an einer Gedenkfeier zur Befreiung des KZ Dachau vor einem neuen Antisemitismus.

Sie und Aussenminister Frank-Walter Steinmeier verwiesen auf die Verantwortung des modernen Deutschland. Merkel hatte in ihrem Video-Podcast vom Samstag davor gewarnt, einen «Schlussstrich» ziehen zu wollen.

Unter Geschichte gebe es keinen Schlussstrich: «Wir Deutschen haben hier schon eine besondere Verantwortung, aufmerksam, sensibel und auch kundig mit dem umzugehen, was wir in der Zeit des Nationalsozialismus angerichtet haben.» Das gelte auch mit Blick auf lang andauernde Verletzungen und Sorgen in anderen Ländern.

Merkel warnte in ihrer Rede in Dachau vor einem neuen Antisemitismus. Niemand könne die Augen davor verschliessen, dass Synagogen nicht ohne massiven Polizeischutz auskommen oder Rabbiner mitten in Deutschland angegriffen werden, sagte sie. Deshalb seien «wir alle» aufgerufen, Rechtsradikalen unmissverständlich klar zu machen, dass jüdisches Leben Teil der deutschen Kultur sei.

US-Truppen hatten das rund 20 Kilometer nordwestlich von München liegende Konzentrationslager Dachau mit rund 30’000 Häftlingen am 29. April 1945 befreit. Zum Jahrestag war ein Duplikat der gestohlenen Tür mit der zynischen Inschrift «Arbeit macht frei» eingesetzt worden. An der Gedenkfeier nahmen Überlebende des Konzentrationslagers sowie Gäste aus dem In- und Ausland teil.

Verantwortung für «Nie wieder!»

Aussenminister Steinmeier sagte am Samstag bei einer Gedenkveranstaltung zur Kapitulation Berlins, in der Befreiung liege zugleich die Verantwortung des «Nie wieder!» «Indem wir befreit wurden von Rassenwahn und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, vom dunkelsten Irrweg unserer Geschichte, wurden wir befreit zu ‚mehr Licht‘ auf unserem Weg nach vorn.»

Nie wieder dürften Rassenhass und Hass gegen Minderheiten Platz finden in der Gesellschaft, sagte er. Gerade Deutschland müsse heute «vielleicht mehr als andere» Verantwortung übernehmen für den Erhalt einer internationalen Ordnung, die Frieden sichere.

Erinnern an Sowjet-Soldaten

Bundespräsident Joachim Gauck erinnerte anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes an die Leistungen und Leiden der sowjetischen Soldaten – unabhängig von ihrer späteren Rolle als Besatzungsmacht.

«Am 8. Mai sind wir befreit worden – nicht nur, aber auch durch die Völker der Sowjetunion. Deshalb schulden wir ihnen Dankbarkeit und Respekt», sagte das Staatsoberhaupt in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung». «Und das gilt ungeachtet der Tatsache, dass die sowjetischen Befreier nach dem Krieg als Besatzer im Osten Deutschlands für Unfreiheit, Unterdrückung und Verfolgung gesorgt haben.»

Aufarbeitung ist noch nicht beendet

Gauck verwies auf die deutschen Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen. «Von den insgesamt rund fünfeinhalb Millionen sowjetischen Soldaten in der Gewalt der deutschen Wehrmacht hat weniger als die Hälfte überlebt», sagte er.

«Ich finde, wir haben bei der Aufarbeitung der Nazi-Zeit wirklich vieles geleistet. Aber immer wieder gab es auch Gruppen von Opfern, die dabei gar nicht oder zu spät oder zu wenig berücksichtigt wurden – die sowjetischen Kriegsgefangenen gehören dazu.»

Auch am Gedenken zum 70. Jahrestag der «Cap Arcona»-Katastrophe in der Lübecker Bucht nahmen am Sonntag etwa 50 KZ-Überlebende teil. Britische Bomber hatten die Schiffe «Cap Arcona» und «Thielbek» am 3. Mai 1945 beschossen, weil sie verhindern wollten, dass sich deutsche Soldaten oder Nazi-Grössen nach Norwegen absetzen. 7000 Menschen starben, 6600 Häftlinge aus dem KZ-Neuengamme sowie 400 SS-Leute und Soldaten.

Ukraine-Krise überschattet Feiern

Das gemeinsame Gedenken an das Kriegsende ist in diesem Jahr vom Zerwürfnis mit Russland in der Ukraine-Krise überschattet. Die meisten Staats- und Regierungschefs der EU sowie US-Präsident Barack Obama boykottieren die grossen Feiern in Russland am 9. Mai zum Tag des Sieges der Sowjetunion über Hitlerdeutschland. Kanzlerin Merkel reist aber am 10. Mai nach Moskau und legt gemeinsam mit Präsident Wladimir Putin am Grabmal des Unbekannten Soldaten einen Kranz nieder.

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