100 Tage vor Beginn der Olympischen Sommerspiele befinden sich die Vorbereitungen bei Swiss Olympic auf der Zielgeraden. Missionschef Ralph Stöckli blickt mit Zuversicht dem Grossanlass entgegen.
Obschon aus Rio de Janeiro zuletzt einige Negativschlagzeilen zu vernehmen waren, gibt sich Stöckli entspannt – zumal die Feedbacks der Athletinnen und Athleten, die zuletzt in der Olympiastadt zu Trainings- oder Wettkampfzwecken weilten, sehr positiv waren. Bezüglich des Abschneidens schätzt der 39-jährige St. Galler, der erstmals eine Schweizer Olympia-Delegation als Chef de Mission anführt, die Ausgangslage als vielversprechend ein. «Wir haben ein paar spannende Trümpfe im Ärmel.»
Im Interview mit der Nachrichtenagentur sda äussert sich Ralph Stöckli zu den sportlichen Erwartungen, über die finalen Vorbereitungsmassnahmen sowie die Aspekte Logistik, Sicherheit und Gesundheit.
Ralph Stöckli, an diesem Mittwoch sind es noch 100 Tage bis zum Beginn der Olympischen Sommerspiele in Rio. Worum ging und geht es bei den letzten Besuchen der Delegationen von Swiss Olympic vor Ort noch?
«Jene Abklärungen im Bereich Unterkünfte im Village und auch extern, betreffend die medizinischen Abdeckungen oder die Trainingsmöglichkeiten, haben wir schon lange gestartet. Es geht nun noch um finale Details wie zum Beispiel Trainingsbahnen für die Triathleten, externe Unterkunft-Lösungen für die Kunstturner, Back-up-Lösungen für Velomechaniker. Wir wissen von den Athleten mehr und mehr, was genau sie kurz vor dem Wettkampf brauchen werden. Wir sind in ständigem Austausch mit den Teamchefs und wissen ziemlich detailliert, wann wer ankommt, wer wo im Pre-Camp ist, wie sie die unmittelbare Wettkampfvorbereitung gestalten.»
Welche Feedbacks kamen von den Athletinnen und Athleten, die in den letzten Wochen in Rio im Training oder an vorolympischen Wettkämpfen waren?
«Grundsätzlich sehr positive. Die Beachvolleyballer waren da, die Schwimmer oder die Turner. Ich habe noch niemanden gehört, der sagte: ’naja‘ – obwohl sicherlich noch nicht alles bereit war. Rio ist eine Stadt, die fasziniert. Die Wettkämpfe haben grundsätzlich gut funktioniert, wenn auch alles im kleineren Rahmen als an den Olympischen Spielen stattfand.»
Man hörte in den letzten Wochen und Monaten aber viel Negatives: U-Bahn-Linien, die nicht fertiggestellt werden, drohendes Verkehrschaos und dergleichen. Wie sehen Sie die Lage?
«Ich bin aus zwei Gründen relativ entspannt. Olympische Spiele, da kann man weit zurückblättern, haben immer die gleichen Abläufe. Es ist Panikmache kurz vor den Spielen. Aber das IOC ist mit verschiedenen Kommissionen extrem nahe am Puls. Solange nicht vom IOC Meldungen kommen, schätze ich es persönlich nicht als ‚rote Stufe‘ ein. Zudem haben wir keinen Einfluss darauf. Die Schweiz kann ja nicht nach Brasilien reisen und die U-Bahn selber fertigstellen. Man müsste sich in diesem Fall damit abfinden und einen Plan B aus der Schublade nehmen. Diesen Plan haben wir.»
Das heisst, die Logistik beschäftigt Swiss Olympic in diesen Tagen am meisten? Oder welche Themen sind sonst noch aktuell?
«Der Sicherheitsaspekt ist natürlich auch sehr wichtig. Nicht nur, weil er die Olympischen Spiele betrifft, sondern auch, wenn man die weltweiten politischen Entwicklungen betrachtet. Es gibt zwei Blickwinkel auf dieses Thema. Rio ist eine Millionenstadt in Südamerika, in der eine gewisse Kriminalität vorhanden ist. Unter anderem liegen die Favelas und die Sportstätten relativ nahe beieinander. Hier geht es vor allem darum, die Athleten darauf zu sensibilisieren und ihnen Tipps zum richtigen Verhalten mitzugeben. Im grossen Kontext bedeutet es für uns, für externe Unterkünfte gewisse Sicherheitsaspekte zu planen und zu berücksichtigen. Dazu kommt die medizinische Abdeckung. Der Zika-Virus beschäftigt uns im Moment. Es ist wichtig, dass wir den Delegationsmitgliedern präzise Auskunft geben können und dass wir Empfehlungen abgeben, was sie selber aktiv unternehmen können. Wir haben dieses Thema schon lange auf dem Radar, weil es nichts Neues ist. Zika ist der eine Virus. Dengue und Chikungunya sind für eine nicht-schwangere Frau viel gefährlicher. Sie können zu Ausfällen von einem halben Jahr führen, was natürlich zu vermeiden ist. Wir haben früh versucht zu sensibilisieren.»
Zu einem erfreulicheren Thema: Die letzten Olympischen Sommerspiele ohne Schweizer Goldmedaille waren jene 1988 in Seoul. Wie realistisch ist es, dass diese erfreuliche Serie in Rio de Janeiro weitergeführt wird?
«Wir haben ein paar spannende Trümpfe im Ärmel. Der Spitzensport zeigt aber, dass wir in der Schweiz auf ein paar wenige Ausnahmeathletinnen und -athleten angewiesen sind – und dass alles schnell gehen kann. Das sahen wir am Beispiel von Nicola Spirig, die bei der WM-Serie in Abu Dhabi stürzte, sich die Hand brach. Man wusste schon nicht mehr, inwiefern dies ihren Olympia-Fahrplan beeinflussen wird. Insgesamt schätze ich die Lage aber sehr positiv ein, wir haben in verschiedenen Sportarten Medaillenpotenzial.»
So viel wie schon lange nicht mehr.
«Es gibt den Spezialfall Tennis, der unglaublich ist. Voraussichtlich reisen fünf Athleten mit, die an der Weltspitze mitspielen. In der Kombination der verschiedenen Disziplinen Mixed und Doppel ist das unglaublich. Das ist in der Neuzeit ein Novum. Aber wir müssen der Realität ins Auge sehen: Man braucht gemäss einer Berechnung über die letzten Jahre hinweg drei potenzielle Medaillenkandidaten, um eine Medaille zu holen. Das heisst, für fünf Medaillen benötigten wir 15 Events mit Potenzial. Das relativiert einiges. Aber ich bin sehr guten Mutes, dass wir ein paar schöne Geschichten schreiben werden.»
Genau diese schönen Geschichten könnten auf politischer Ebene im Hinblick auf Verhandlungen über mehr Fördergelder für den Sport aber kontraproduktiv sein.
«Das kann man so sehen, ja. In vielen Sportarten, die auf finanzielle Unterstützung erst recht angewiesen wären, haben wir den Weg an die Weltspitze noch nicht geschafft. Wenn wir die aktuelle Breite halten und nicht nur eine Wintersport-Nation sein wollen, bin ich überzeugt, dass wir langfristigen Support brauchen (Anmerkung: Von den Lotteriegesellschaften erhält Swiss Olympic in den nächsten drei Jahren rund 15 Millionen Franken pro Jahr zusätzlich (das Interview fand vor diesem Entscheid statt), der Entscheid über mehr Zuwendungen seitens des Bundes steht noch aus). Der Entwicklung im internationalen Sport, der sich in eine immer kompetitivere Richtung bewegt, müssen wir einen Schritt voraus sein. Im Vergleich mit anderen, ähnlich grossen Nationen wie Norwegen, Schweden oder Österreich bewegen wir uns auf sehr, sehr dünnem Eis. Wir haben aber eine sehr hohe Effizienz in unserem System. Nur: Irgendwann werden wir an den Anschlag kommen und Ressourcen brauchen.»
Stichwort Wintersport. Inwieweit sind die Winterspiele 2018 in Pyeongchang bereits ein Thema?
«Diese Planungen laufen auch auf Hochtouren. Ich wurde wieder als Chef de Mission gewählt, was mich natürlich sehr freut. Vieles haben wir bereits aufgegleist, zweimal war ich dafür schon vor Ort. Es wird aller Voraussicht nach eine einfachere Mission als jene für Rio. Alles ist überschaubar. Wir haben gute Kontakte vor Ort. Schweizer, die in Südkorea wohnen, unterstützen uns, und wir freuen uns auf diese Mission in Asien.»