«Mit Schlager kann man richtig viel Geld machen»

Eine Triple-CD und eine Konzertreihe mit Suppenbegleitung: Die Ostschweizer Schlagerband «Europa: Neue Leichtigkeit» fährt diese Woche in Basel grosses Geschütz auf. «Europa neue was?» – Eine Begegnung mit dieser grossartig irritierenden Kitschband.

«Europa: Neue Leichtigkeit» schafft es trotz überschwänglichem Nonsens nie in die Belanglosigkeit abzudriften. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Dieser Beitrag ist im März 2016 erstmals erschienen. Anlässlich einer Veranstaltungsreihe im Hafen, eines neuen «Best-of Albums» (limitierte Triple-CD mit 123 Songs) sowie eines Konzerts am Freitag im 1. Stock in Münchenstein publizieren wir diese Begegnung mit der Dada-Schlagerband «Europa: Neue Leichtigkeit» erneut.


Die Voraussetzungen sind zugegeben nicht ganz optimal: Der letzte fiese Gin Tonic vom Hinterhof-Geburtstag am Abend zuvor wabert noch durchs System, die ganzen Schokohasen und hartgekochten Eier ebenso. Und trotzdem haben wir es alle pünktlich in den Botanischen Garten geschafft, vier Uhr nachmittags am Ostermontag, mit Katersekt zwischen grantigen Rentnern und frischverliebten Teenies. Genau die richtigen Voraussetzungen für die Neue Leichtigkeit.

«Europa: Neue Leichtigkeit», das klingt wie eine politische Bibelgruppe oder ein Germanistikseminar, ist aber in Wahrheit eine Band. Und nicht nur eine Band: Es ist die Band, die für glänzende Augen sorgt, wenn man erzählt, dass man sie gleich im Sukkulentenhaus zu einem Brockigläschen Schaumwein trifft. Die Band, die Omas und Studentinnen (ausser Gender Studies: «ich mein, hast du dir schon mal die Texte von denen angehört!?») gleichermassen verzaubert, die Band, die sich vor keinem Seidenanzug und Rüschenhemd der Welt scheut, die Band, die auf ihrer Tour im Kosovo so viele Plastiklilien abgestaubt hat, dass sie auf der Bühne jeweils fast darin versinken.

Nicht ohne unsere Plastikflora: Bevorzugte Ausstattung der Neuen Leichtigkeit.
Nicht ohne unsere Plastikflora: Bevorzugte Ausstattung der Neuen Leichtigkeit.

Die Plastikblumen sind auch jetzt wieder mit an Bord. Geschäftig zieht Samuel Weniger (Schlagzeug, und ab und zu ein paar andere Instrumente, das heisst bei der neuen Leichtigkeit: Rhythm Section) ein Büschel nach dem anderen aus seinem Trekkingrucksack mit mindestens 60 Litern Fassungsvolumen. Er habe ein paar Sachen mitgebracht, meint er und zerrt an einem Frauenkopf, der aus dem Rucksack hervorlugt. Eine halbe Schaufensterpuppe kommt zum Vorschein, Weniger zieht ihr zärtlich eine aschblonde Perücke über. «Das ist Ruedi, unser viertes und wichtigstes Bandmitglied.»

Willkommen bei der neuen Leichtigkeit

Jonas Bischof (Sänger und manchmal auch Instrumente, heisst bei der Neuen Leichtigkeit: Front) nickt und schenkt sich etwas Cointreau aus der mitgebrachten Flasche ein. Der Ruedi sei eben grad im Schwarzwald in den Ferien und könne leider nicht hier sein. Aber sie würden ihn mittels Puppe gebührend ins Gespräch einbeziehen, versprochen. Er spiesst mitgebrachte Schokoeier auf die herumstehenden Kakteen. Etwas weiter hinten bestaunt Andrin Uetz (2. Front) eine Kaktuspflanze, die aussieht, als würde sie einem Schildkrötenpanzer entwachsen. Ein paar verstört dreinblickende Besucher laufen langsam Richtung Glastür. Willkommen bei der neuen Leichtigkeit.

Einzweidrei Gläschen auf die Neue Leichtigkeit: Ruedi Tobler, Samuel Weniger, Andrin Uetz und Jonas Bischof alias «Europa: Neue Leichtigkeit».
Einzweidrei Gläschen auf die Neue Leichtigkeit: Ruedi Tobler, Samuel Weniger, Andrin Uetz und Jonas Bischof alias «Europa: Neue Leichtigkeit». (Bild: Hansjörg Walter)

Wer «Europa: Neue Leichtigkeit» noch nie gehört hat, der stelle sich folgendes Szenario vor: Man steht an einer Bar in einem halbseidenen Schuppen/Wohnzimmer/Keller. Man bestellt einen Campari-Orange weil die Deko, die diese merkwürdige Band vorne gerade enthusiastisch aufbaut, so gut zu diesem klebrigen, widerwärtig bunten Drink passt. Es gibt ein Röhrli und Schirmli dazu und so steht man also da, mit Röhrli und Schirmli im Drink, und weiss nicht, ob man das doof oder grandios finden soll.

Man entscheidet sich für grandios und es ist eine gute Entscheidung und genau so wird es einem nach dem ersten Song dieser traumhaft irritierenden Band ergehen. Willkommen bei Europa, willkommen bei der neuen Leichtigkeit, willkommen bei den Seidenfoulards und Goldgurten. Willkommen bei der Band, die man nie nie nie mehr loslassen will. Willkommen beim Ende der Postmoderne, dem Anfang der ästhetischen Verflachung, der Hochburg der flachen Dekadenz!

Mittlerweile ist halb fünf, wir sitzen auf dem Rasen neben dem Sukkulentenhaus und Andrin Uetz füllt sein kleines Kristallglas mit französischem Champagner auf. «Man soll die seichte Unterhaltung nicht den seichten Köpfen überlassen», sagt er ernst.

«Das ist sehr gut!» ruft Bischof und tippt was in seine Schreibmaschine, die plötzlich da ist, wie die Rosmarin-Grissini und Puppen-Ruedis bestickte Baseball-Mütze. Zauberhand. «Ich schreib euch jetzt was über Ostern und Terror, ihr seid doch eine Zeitung, ihr müsst informieren.» Der Fotograf lacht laut und man denkt: Alles kriecht dieses Jahr mit fancy Events dem Dadaismus in den Arsch, dabei gibt es direkt vor der Haustür Menschen, die das Prinzip Unkonventionell so überzeugend verkörperlichen, dass jeder Cüpli-Event sofort einpacken kann.

Ostern und Terror, frisch ab Schreibmaschine.
Ostern und Terror, frisch ab Schreibmaschine. (Bild: Hansjörg Walter)

Angefangen hat die Neue Leichtigkeit mit Bischof, Weniger und Tobler und ihrer Ostschweizer Techno-Band, die eher schlecht als recht ankommen wollte. «Das war u streng», meint Bischof, «mit grotesken Verkleidungen und ein bisschen nackt und so. Der Erfolg blieb aus und den Girls gefiel’s nicht. Wir brauchten einen Neuanfang. Wir brauchten Andrin.» Und Andrin sprang auf. Der Musikwissenschaftler hatte zwar wenig Ahnung von der Praxis, dafür aber ein Haus am See, ein Boot, einen Jaguar und ein Erfolgskonzept: Schlager. «Damit lässt sich halt auch ordentlich Geld verdienen.»

Mit Schlager? Die Jungs nicken eifrig. «Klar! Schlagerfans, die wissen nicht, wie man Sachen runterlädt, da kann man noch richtig viel Geld mit CDs machen. Ausserdem ist das Schlagerpublikum begütert und hat keinen Überblick über seine Finanzen. Und sonst gibts ja immer noch Credit Now: Es gibt immer eine Lösung.» Bischof zündet sich eine Zigarette an.

Es wurde also Schlager. Uetz kaufte den drei Jungs hübsche Anzüge, dachte sich einen Namen aus und erfand gleich noch ein Lebensgefühl dazu: Die Neue Leichtigkeit. Auf der Webseite der Band führt er in einem Essay aus:

«Europa heisst die Band der neuen Leichtigkeit. Wider den Wirren der verunsicherten Kinder der Postmoderne galoppieren die selbsternannten Bohèmes zielstrebig in den Schlagerolymp. Gehuldigt wird dem Dreiviertel-Takt, dem pathetischen Kitsch und den grossen Gefühlen. Das Schreiben von Hits ist ebenso Obsession wie das unverschämt elegante Auftreten der feschen Filous.»

Er hat Recht: Die Musik der neuen Leichtigkeit huldigt wortgewandt dem Kitsch und den grossen Gefühlen. «Europa: Neue Leichtigkeit» ist eine Band wie Mehrfachzucker: Lebenswichtige Nähr- und Schleimstoffe. An ihren Konzerten fallen sich Mädchen in die Arme, harte Jungs schmunzeln und Rentner seufzen verzückt, als wollten sie nie mehr was Anderes. Kaum eine andere junge Band hat ein so diskrepantes und gleichermassen innig loyales Publikum. Und schafft es dabei, trotz überschwänglichem Nonsens nie in die Belanglosigkeit abzudriften. Und wenn, ist stets die rettende Ironie zur Stelle.

Es ist spät geworden, die Flaschen sind leer, die Sonne weg. Zeit für eine letzte Frage: Woher kommt eigentlich das Europa vor der neuen Leichtigkeit? Das stamme von der Marke ihrer Orgel, meinen die Jungs lapidar. Nichts Politisches? Naja, irgendwie seien sie ja apolitisch, meint Uetz, worauf ihm Bischof widerspricht und gleich das passende Lied anstimmt:

Liebe, Hollywood, Drohnen und zerfetzte Gesichter in unter einer Minute. Sowas kann nur die Neue Leichtigkeit. Recht haben sie: Man soll die seichte Unterhaltung nicht den seichten Köpfen überlassen.

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