«Mittendrin:Integriert?!» – der Rückblick

Im dritten Community-Anlass unter dem Titel «Mittendrin: Integriert?!» hat die TagesWoche am Donnerstag das direkte Gespräch mit den Migrantinnen und Migranten in Basel gesucht. Dabei wurde auch die Rolle der Medien hinterfragt. Und es wurde darüber diskutiert, was die TagesWoche besser machen könnte. Dieser Abend im Basler «Union» gehörte ganz den Migrantinnen und Migranten. Nicht […]

Marco Snaidero alias DJ Steel von Makale, Nicole von Jacobs, Dani Winter, Sibel Arslan und Aleksandra Despotovic diskutierten auf dem Podium über Integration und Migration.

Im dritten Community-Anlass unter dem Titel «Mittendrin: Integriert?!» hat die TagesWoche am Donnerstag das direkte Gespräch mit den Migrantinnen und Migranten in Basel gesucht. Dabei wurde auch die Rolle der Medien hinterfragt. Und es wurde darüber diskutiert, was die TagesWoche besser machen könnte.

Dieser Abend im Basler «Union» gehörte ganz den Migrantinnen und Migranten. Nicht nur im Publikum waren sie klar in der Überzahl, auch auf dem Podium sassen ausschliesslich Leute mit Migrationshintergrund. Marco Snaidero a.k.a. DJ Steel von der Basler HipHop Crew Makale ist halb Schweizer, halb Italiener – rappen tut Makale jedoch auf Türkisch.

Nicole von Jacobs, Leiterin der Fachstelle Diversität und Integration der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung, ist Deutsche. Dani Winter, TagesWoche-Redaktionsleiter und Moderator des Abends, hört sich zwar wie ein waschechter Ostschweizer an, ist aber auch Deutscher: Er wuchs in der winzigen deutschen Enklave Büsingen in Schaffhausen auf. BastA!-Grossrätin Sibel Arslan, sowie Studentin und Erwachsenenbildnerin Aleksandra Despotovic sind Schweizerinnen mit türkischem respektive serbischem Migrationshintergrund.

Marco Snaidero betonte, dass die Integrationsproblematik in den Texten seiner Band kaum eine Rolle spiele. «Aber als Musiker haben wir natürlich einen Hebel, um uns für Integration, zum Beispiel an solchen Anlässen oder in der Jugendarbeit, zu engagieren.»

Nicole von Jacobs, winkte ab auf die Frage, ob sie unter dem von einigen Medien geschürten Ressentiments gegen Ausländer, insbesondere gegen Deutsche, zu leiden habe. «Ich spüre nichts von dem angeblichen Deutschenhass», meinte die Fachfrau für Ausländerfragen. «Ich werde lustigerweise oft mitleidig von Schweizer Bekannten gefragt, ob mir die aktuelle Berichterstattung um die Masseneinwanderungsinitiative zu schaffen mache. Aber eigentlich werden da vor allem Ängste vor Lohndruck, Überbevölkerung und ähnlichem geschürt, die sich gar nicht konkret gegen eine spezielle Gruppe Menschen richten.»

Eine kulturelle Mischung – aber Musik verbindet: Makale (Bild: Nils Fisch) (Bild: Nils Fisch)

Arslan kennt den Rassismus

Mehr Erfahrungen mit Rassismus hat Gossrätin Sibel Arslan. Etwa, als sich Grossräte darüber beschwert hatten, dass nicht alle Volksvertreter im Rat perfekt deutsch sprechen würden – ein Thema, das tagelang Schlagzeilen in den regionalen Medien machte. Die ganze Sache habe nicht einer gewissen Komik entbehrt, sagte Arslan: «Von der Rechten werden die Parlamentarier und Parlamentarierinnen angefeindet, wo es gerade geht. Aber der Vorwurf mit der Sprache war wirklich ein Witz. In den Kommissionen zum Beispiel bringen sich die Leute mit Migrationshintergrund sehr engagiert und wortreich ein. Von den Schweizern, die die Sprache besser beherrschen sollen, höre ich dagegen pro Jahr vielleicht drei Wortmeldungen.»

Tatsächlich habe aber der Druck, korrekt Deutsch zu sprechen, in den letzten Jahren stark zugenommen, sagt Arslan. Sie selber sei schon einmal auf der Strasse mit den Worten «Gang go Dütsch lehre!» angefeindet worden – obwohl sie vermutlich korrekteres Basel- und Hochdeutsch spricht als die Angreifenden.

Aleksandra Despotovic, die als «Peer Educator» junge Leute mit schulischen Defiziten betreut, fühlt sich im Alltag nicht von Fremdenfeindlichkeit tangiert. Zum einen sieht man ihr den Migrationshintergrund nicht an. Zum anderen bewegt sie sich in einem weitgehend rassismusfreiem Umfeld. «Aber was ich bemerke ist eine starke Verunsicherung bei weniger gut verankerten Migrantinnen und Migranten.»

Despotovic ärgert sich darüber, «dass man, sobald man eine andere Nationalität hat, nicht mehr als Mensch, sondern nur noch als Ressource» betrachtet werde. «Ich will aber als Mensch und nicht als gut oder schlecht qualifizierte Arbeitskraft wahrgenommen werden.» Sie halte es für falsch, dass die Ausländerfrage immer unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit thematisiert werde. «Integration hat viel mehr Facetten. Vielleicht bin ich am Arbeitsplatz nicht so gut integriert, dafür aber in meinem Quartier. Es gibt auch die soziale Integration – und Schweizer, die alles andere als gesellschaftlich integriert sind.»

Von links nach rechts: Dani Winter, Sibel Arslan und Aleksandra Despotovic (Bild: Nils Fisch) (Bild: Nils Fisch)

Die Rolle der Medien

Zwangsläufig kam die Rede auf die Rolle der Medien. Zwangsläufig, so Nicole von Jacobs, würden die Medien polarisieren. Die von Despotovic angesprochenen feinen Facetten hätten halt keinen Sensationswert. Aber sie seien unerlässlich für eine differenzierte Berichterstattung. Marco Snaidero erklärte, dass «Rassismus wie Sex halt in gewissen Medien immer zieht».

Sibel Arslan beklagte sich, dass das gesellschaftliche Klima auch wegen der einseitigen Berichterstattung in manchen Medien deutlich giftiger geworden sei. «Alles, was nicht in ein bestimmtes Muster passt, wird stigmatisiert und angefeindet.» Seit dem «medialen Rechtsrutsch» in Basel werde das Zusammenleben der Menschen aus verschiedenen Nationen vermehrt problematisiert, statt dass man die multikulturelle Bevölkerung als Ressource und auch Besonderheit der Stadt darstelle. «Es ist immer die Rede vom Fördern und Fordern. Aber die Menschen erleben vor allem das Fordern von allen Seiten.»

Ein durchmischtes Publikum fand sich im Union ein (Bild: Nils Fisch) (Bild: Nils Fisch)

Einige Schlagworte, die seit einiger Zeit die Runde machen, lassen die Emotionen im Saal zwischen Belustigung und Ärger schwanken. «Asyl-Grüsel» oder «Jugo-Raser» sind nur zwei Wortschöpfungen, mit denen eine landesweit verbreitete Postille Stimmung macht. Bei Schweizer Rasern oder «Grüseln» lese man nur selten etwas über die Herkunft, sagte Aleksandra Despotovic, und sie machte darauf aufmerksam, dass zum Beispiel in englischsprachigen Medien die Nationalität der Protagonisten nur dann erwähnt werde, wenn es für die Story von Belang sei. «Wenn man jetzt das Beispiel Raser nimmt: Manche Menschen sind, unabhängig von Nationalität und anderen Faktoren, schlicht Idioten. Es spielt doch keine Rolle, ob einer ein Jugo- oder ein Schweizer-Arsch ist?»

Das Zielpublikum vieler Medien sei offenbar der «mittelständische und berufstätige Schweizer Mann in den mittleren Jahren», meinte Despotovic weiter und erzählte eine kleine Anekdote: «Gestern waren wir mit sechs Leuten Essen. Nach dem oben genannten Kriterium wäre nur gerade einer von uns bedient worden.»

Was kann die TagesWoche besser machen?

Und damit kriegte sie elegant die Kurve zur eigentlichen Fragestellung des Abends: Was soll und kann die TagesWoche in der Debatte über Migranten besser machen? «Es gibt keinen Durchschnittsmenschen. Der Durchschnitt präsentiert sich so, wie wir hier sitzen: bunt durchmischt», meinte Despotovic. «Dieser Tatsache, dass die Leserschaft ein breites Spektrum umfasst, sollte das Medium gerecht werden.» Ausserdem wünschte sich Despotovic, dass jungen Migranten die Politik schmackhafter gemacht wird – «auch wenn sie kein Wahl- und Stimmrecht haben».

Sibel Arslan regte an, dass die TagesWoche auch die Ängste von Migranten wahrnehmen und diese direkt ansprechen solle – «aber das passiert hier ja gerade im Moment». Und Nicole von Jacobs wünschte sich eine «gegen den Strich gebürstete Berichterstattung»: «Warum bei der nächsten Kriminalstatistik nicht mal einen kriminellen Schweizer portraitieren?»

Aus dem Publikum wurden Wünsche nach ausführlicherer Berichterstattung laut – nicht nur über Einzelschicksale und Ereignisse, sondern auch über Prozesse. Was findet zum Beispiel am Runden Tisch der Religionen statt? Warum nicht mal den Blick auf positive Beispiele aus anderen Ländern richten – etwa auf eine Selbsthilfegruppe von muslimischen Eltern, die Angst haben, dass ihre Kinder radikalisiert werden? Ein Zuhörer wünschte sich mehr Erfolgsgeschichten von Ausländern und fragte: «Wie zum Beispiel seid denn ihr auf dem Podium zu den erfolgreichen Leuten geworden, die ihr heute seid?»

Welche Themen beschäftigen Sie besonders?
Die TagesWoche will mehr wissen über das Zusammenleben in der Region: Wie funktioniert das Miteinander unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen? Wie nehmen sich die verschiedenen Gruppen mit Migrationshintergrund gegenseitig wahr?
Und wir möchten auch gerne folgendes wissen: Mit welchen Fragen der Migration und des Lebens von Migranten soll sich die TagesWoche auseinandersetzen? Welche Themen im Bereich Migration sollen wir beleuchten?
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare und Inputs!

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