Nach dem schweren Hurrikan «Matthew» in Haiti befürchten Behörden und Rettungskräfte dort Hunderte Todesopfer. Die Hilfsorganisation Care nannte am Freitag unter Berufung auf das Innenministerium die Zahl von 478 Toten. Die Nachrichtenagentur Reuters kam auf über 800.
Allein im besonders stark betroffenen Département Sud seien 283 Menschen getötet worden, berichtete der Radiosender Metropole unter Berufung auf den örtlichen Zivilschutz.
Die Nationale Katastrophenschutzbehörde hatte am Donnerstagmittag (Ortszeit) 108 Todesopfer bestätigt und seither keine offizielle Mitteilung mehr herausgegeben. In verschiedenen Medienberichten war teils von deutlich höheren Opferzahlen die Rede.
Vor allem im Südwesten des armen Karibikstaates war die Situation dramatisch. In der Stadt Jérémie seien 80 Prozent der Häuser zerstört oder beschädigt, sagte Care-Mitarbeiterin Holly Frew am Freitag. «Wir haben mit Leuten gesprochen, die alles verloren haben.» Die Region war noch immer weitgehend vom Rest des Landes abgeschnitten. Frew rechnete damit, dass die Opferzahl noch weiter steigt.
Teile Haitis vollständig unter Wasser
Auf Fotos der UNO-Blauhelmmission Minustah war zu sehen, dass grosse Gebiete vollständig unter Wasser standen. In anderen Regionen stürzten zahlreiche Bäume um, die Dächer der Häuser waren abgedeckt. Die Blauhelmsoldaten halfen bei den Aufräumarbeiten.
In Jérémie herrschte grosse Verzweiflung. Menschen liefen durch die mit Schutt und Schlamm bedeckten Strassen und suchten nach ihren Angehörigen.
«Der Sturm hat die Menschen in einen Zustand des Schocks und der Verzweiflung versetzt», berichtete der Care-Mitarbeiter Patricl Louis am Freitag aus der Hauptstadt des Départements Grand’Anse. «Sie haben nicht nur ihre Häuser und ihre Ernte verloren, sondern oft auch Familienmitglieder. Sie sind in Trauer.»
Das Welternährungsprogramm brachte Lebensmittel in die Region. Die UNO-Organisation hatte zuvor Nahrungsmittel für bis zu 300’000 Menschen für einen Monat in Haiti eingelagert. Personal und Güter wurden per Hubschrauber in das Katastrophengebiet geflogen.
Der Zugang zu den ländlichen Regionen im Südwesten gestaltete sich allerdings schwierig. «Die grosse Herausforderung ist, zu den Dörfern in den Bergen zu kommen», sagte Länderdirektor Carlos Veloso. «Der Zugang ist sonst schon nicht leicht und nach dem Hurrikan wird es noch schwerer werden.»
Millionen in den USA evakuiert
Aus Angst vor dem Sturm ordneten die Behörden die Evakuierung von drei Millionen Menschen in den Bundesstaaten Florida, Georgia und South Carolina an.
Die ersten Ausläufer von «Matthew» erreichten Florida am Freitagmorgen, sie brachten sintflutartigen Regen und Windböen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 195 Kilometern pro Stunde. Auf Land traf der Hurrikan noch nicht, die Auswirkungen waren dennoch zu spüren.
«Dieser Sturm ist ein Monster», warnte Floridas Gouverneur Rick Scott. Wer sich der Anordnung der Behörden widersetze, riskiere den Tod. «Geht nicht surfen, geht nicht an den Strand. Ihr werdet sterben», warnte Scott, dessen Evakuierungsbefehl für 1,5 Millionen Menschen galt.
Auch in South Carolina und in Georgia wurde die Evakuierung küstennaher Gemeinden angeordnet. Mehr als 22’000 Menschen suchten Schutz in Notunterkünften.
600’000 Amerikaner ohne Strom
Am Freitagmorgen (Ortszeit) waren 600’000 Haushalte in Florida ohne Strom, wie Scott sagte. Berichte über Tote gab es dort zunächst aber nicht. US-Präsident Barack Obama rief die Menschen in den betroffenen Staaten erneut eindringlich dazu auf, den Anweisungen der Behörden zu folgen.
Nach Angaben des Gouverneurs könnte die Gegend um die Stadt Jacksonville besonders schlimm betroffen sein. Man müsse sich dort auf sehr starke Überschwemmungen einstellen, sagte er.
Starke Winde fegten auch über den NASA-Weltraumbahnhof in Cape Canaveral. Nach ersten Erkenntnissen seien die Dächer mehrerer Gebäude im Kennedy Space Center beschädigt, Strom- und Wasserversorgung seien unterbrochen, erklärte ein NASA-Sprecher.