Die Schweizer Medien begrüssen den Rücktritt von FIFA-Präsident Joseph Blatter weitgehend. Allerdings wird hierzulande weniger nach getreten als in Deutschland oder England.
Der «Blick» ortet hinter dem überraschenden Schritt des 79-jährigen Wallisers Kalkül und hält für möglich, dass der Schweizer in die Mühlen der US-Justiz gerät. «Blatter fürchtet den heutigen Tag, die kommenden Wochen. Es wird weitere belastende Enthüllungen geben», mutmasst Ringiers Chefredaktor Sport. Der überstürzte Rücktritt passe nicht zu Blatter, er lasse sich «nach 40 Jahren nicht so einfach vom Hof jagen». Die Empfehlung für eine bessere Zukunft fehlt nicht: «Es braucht nicht nur einen neuen Präsidenten. Sondern ein neues System, einen neuen Geist.»
«Blatter stürzt sich selbst», titeln die Experten der Werdstrasse, zitieren FBI-Quellen und berufen sich auf Quellen aus dem inneren Machtzirkel der FIFA. Blatter soll auch intern stark an Rückhalt verloren haben und sei unter Druck gesetzt worden. Der Kommentator des «Tages-Anzeiger» listet aber nicht Mutmassungen auf, sondern erwähnt explizit auch Blatters positiven Einfluss: «Unter Blatter hat sich die FIFA zu einem milliardenschweren Verband entwickelt, das ist wesentlich sein Verdienst. » Er habe aber auch die Strukturen und Geldverteilungswege geschaffen, die der Korruption «die Schleusen öffneten».
Für den «Tages-Anzeiger» ist ebenso klar: «Blatter wäre der falsche Mann gewesen, um die FIFA in die Zukunft zu führen, dafür war sein Name schon lange viel zu sehr belastet.» Der schwer angeschlagene Verband brauche für einen glaubwürdigen Neuanfang weit mehr als den Abgang des Chefs: «Er benötigt eine Reform auf allen Führungsstufen.»
Unter der Rubrik «Der kleine Sepp, die grosse FIFA, das bittere Ende» veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» von Blatter nicht autorisierte Passagen aus einem Interview vom März 2013 – und trat mit einem in eher zynischer Tonlage gehaltenen Blatter-Porträt noch ein bisschen nach.
Die «NZZ» wertet die Kehrtwende des Jahres auf der Frontseite als eigentlichen Coup de Théâtre und vertritt in der Analyse einen unmissverständlichen Standpunkt: «Der Überlebenskünstler geht, und das ist gut so.» Die Zeit für eine fundamentale Veränderung wäre schon früher reif gewesen, kritisiert die Neue Zürcher Zeitung weiter. Nun lahme die Ziege plötzlich.
Auch in der NZZ-Zentrale spekulieren sie über die Hintergründe von Blatters Sinneswandel: «Doch es ist nicht auszuschliessen, dass ihn die US-Justiz zum Rücktritt gedrängt hat.» Anders als verschiedene mediale Auguren im benachbarten Ausland verzichtete die «NZZ» auf eine einseitige Abrechnung mit dem bekanntesten Schweizer Spitzenfunktionär: «In den Jahren, seines Wirkens machte er aus einem Verband, der nach dem Kollaps der Vermarktungsfirma ISL finanziell vor dem Abgrund stand, eine Geldmaschine.»