Zwei Themen beherrschen die Zeitungskommentare zu den eidgenössischen Wahlen: Die Gründe für den historischen Wahlerfolg der SVP sowie der Erfolg der FDP auf Kosten der jungen Parteien und der Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz im Bundesrat.
Für die «Neue Zürcher Zeitung» kommt der Sieg von SVP und FDP nicht unerwartet und stellt eine «Rückkehr zur Normalität» dar. Denke das Volk anders als weite Teile des Parlaments, seien «Korrekturen irgendwann unausweichlich. (…) Die neue Unübersichtlichkeit der letzten Jahre ist vorerst Geschichte».
Gemeinsamkeiten ausloten
Die NZZ sieht SVP und FDP «in der Pflicht, Gemeinsamkeiten etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auszuloten. Gelingt ihnen das nicht, verspielen sie leichtfertig ihren Erfolg».
Auch die «Berner Zeitung» ist nicht überrascht vom Wahlausgang: In Umfragen seien Themen als grösste Herausforderung genannt worden, bei denen vor allem die SVP traditionell punkten könne: Asyl und Flüchtlinge, Zuwanderung, EU und Europa. «Es waren diese Themen, welche die Debatten vor den Wahlen dominierten.»
Kein anderes Thema beschäftige die Menschen so stark wie die Flüchtlinge, begründet auch die «Aargauer Zeitung» den Sieg der SVP. Ihr stellt sich die Frage, ob die Rezepte der Volkspartei auch wirken. Denn: «In der Schweiz kann man schnell mal etwas fordern, das gut tönt, im Wissen darum, dass es keine Mehrheit findet und sich nicht bewähren muss.»
«Die SVP legt historisch zu, die FDP feiert ein bemerkenswertes Comeback», schreibt die «Basler Zeitung». Sie sieht «Restbestände» und meint, an die CVP gewandt: «Sie muss sich gut überlegen, wie sie die nächsten zehn Jahre überstehen will. (…) Sie wird entscheiden müssen, ob sie ins bürgerliche Lager zurückkehrt oder weiterhin als Bürodiener der SP fungieren möchte.»
«Gespaltenes Land»
Der «Tages-Anzeiger» sieht die Schweiz nach den Wahlen als «gespaltenes Land». «Abgestraft wurde die neue Mitte, die in der letzten Legislatur eine Scharnierfunktion zwischen den beiden Blöcken einnahm.» Tonangebend seien nun Parteien, «die bei der Altersvorsorge und der Energiewende ein Scheitern in Kauf nehmen».
Die Zeitung erwartet, dass die neue Mitte von 2011 als Episode in die Geschichtsbücher eingehen wird. «2015 ist die Rückkehr zur Dominanz zentrifugaler Kräfte erfolgt. Zur Hypothek wird diese Ausgangslage auch angesichts der internationalen Vernetzung unseres Landes.»
Der Berner «Bund» sieht die FDP trotz ihres «bescheidenen Sieges» in einer Schlüsselrolle: «Die FDP muss im bürgerlichen Lager verstärkt in die Rolle der verantwortungsvollen Leaderin schlüpfen, zu der die SVP, weil zu oppositionell, nicht in der Lage ist.»
«Chance auf Ehrenplatz in Geschichtsbüchern»
Die Kommentatoren machen den Schwenker zur Bundesratswahl am 9. Dezember. Der «Bund» wendet sich dabei an Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP): «Wenn die Bündnerin jetzt zugunsten der SVP auf eine dritte Amtszeit verzichtet, bietet sich ihr die Chance auf einen Ehrenplatz in den Geschichtsbüchern.»
«Die Verhältnisse in Bern, so möchte man meinen, wären klar genug, dass man nun auch die Zusammensetzung des Bundesrates so vornehmen könnte, dass sie den Gepflogenheiten dieses Landes entspräche», findet die «Basler Zeitung». Für sie liegt es auf der Hand, dass die SVP als grösste Partei Anspruch auf zwei Sitze anmelden darf. «Alles andere wäre systemfremd».
SVP-Parteipräsident Toni Brunner wolle mit dem Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat die Rückkehr zur «alten Zauberformel der arithmetischen Konkordanz», schreibt die «Berner Zeitung».
«SVP in die Pflicht nehmen»
Vor vier Jahren sei der klar wählerstärksten Partei der zweite Regierungssitz verwehrt worden, schreibt das Blatt. Eine Mitte-Links-Allianz habe Bundesrätin Widmer-Schlumpf im Amt behalten und dafür gesorgt, dass «SVP und FDP die angemessene Vertretung im Bundesrat verwehrt» geblieben sei, so die «Berner Zeitung».
«Präsentiert die SVP einen valablen Kandidaten, sollte das Parlament das Volksverdikt ernst und die SVP in die Pflicht nehmen», fordert die «Aargauer Zeitung». Für die NZZ erleichtert es der Wahlausgang der SVP, «ihren begründeten Anspruch auf einen zweiten Regierungssitz durchzusetzen».
Das «St. Galler Tagblatt» ist der Ansicht, dass die SVP «glaubhaft darlegen muss, dass sie ernsthaft und kollegial mitregieren will». Sende sie entsprechende Signale, «wäre es ein Affront, der klar grössten Kraft unter der Bundeshauskuppel eine angemessene Regierungsbeteiligung zu verwehren». Eine Wiederwahl Widmer-Schlumpfs lasse sich nach dem Wahlresultat vom Wochenende kaum rechtfertigen.