Bei der Parlamentswahl in Tunesien hat sich immer deutlicher ein Sieg der säkularen Kräfte über die Islamisten abgezeichnet. Die Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses liess aber auf sich warten. Der Europarat lobte den friedlichen Ablauf des Urnengangs.
Die tunesische Wahlbeobachterorganisation «Mourakiboun» ging am Montag davon aus, dass die Allianz Nidaa Tounès auf 37,1 Prozent der Stimmen kommt, während auf die islamistische Ennahda 27,9 Prozent entfielen. Tunesische Medien berichteten unter Berufung auf Umfragen über einen ähnlichen Wahlausgang.
Auf ihrer offiziellen Facebook-Seite verkündete Nidaa Tounès ihren Wahlsieg. «Wir haben gewonnen, lang lebe Tunesien», hiess es dort. Parteichef Béji Caïd Essebsi hatte sich am Sonntagabend noch vorsichtig gezeigt und erklärt, es gebe Hinweise, wonach die Partei an der Spitze sein könnte.
Die Ennahda-Partei, die derzeit in der verfassunggebenden Nationalversammlung die Mehrheit hält, teilte mit, auf Platz zwei gelandet zu sein. Nidaa Tounès habe einen Vorsprung von etwa einem Dutzend Sitzen, erklärte Ennahda-Sprecher Zied Laadhari. Dies seien aber nur Hochrechnungen, betonte der Sprecher.
Auf einen Überraschungserfolg hoffte der Unternehmer Slim Riahi mit seiner liberalen Freien Patriotischen Union. Der 42-jährige ist auch Vorsitzender des beliebten Fussballvereins Club Africain in Tunis und tritt ausserdem bei der Präsidentenwahl am 23. November an.
Offizielles Ergebnis verzögert sich
Die Bekanntgabe vorläufiger Ergebnisse durch die Wahlkommission ISIE zögerte sich immer weiter hinaus. Eine bereits am Morgen angekündigte Medienkonferenz wurden mehrfach verschoben. Die Kommission hat aber bis zum 30. Oktober Zeit, um das Endergebnis bekanntzugeben.
Die Ennahda war 2011 aus der ersten freien Wahl nach dem Sturz von Zine el Abidine Ben Ali im Arabischen Frühling mit Abstand als stärkste Kraft hervorgegangen. Wenn das neue Parlament die Arbeit aufnimmt, kann die derzeitige Übergangsregierung von einer gewählten politischen Führung abgelöst werden.
Mit der Wahl eines Präsidenten bis zum Jahresende soll der nach der Jasminrevolution eingeleitete Weg in die Demokratie abgeschlossen sein. Bis spätestens Februar soll das Kabinett arbeitsfähig sein. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.
Viel Lob des Europarates
Der Europarat lobte den Ablauf der ersten Parlamentswahl in Tunesien seit dem Arabischen Frühling. Die Wahl am Sonntag sei «ordentlich» und auf der Grundlage der neuen Verfassung des Landes verlaufen, betonte der Generalsekretär des Rates, Thorbjørn Jagland, in einer Mitteilung.
Sie sei ein wichtiger Schritt hin zu einem gemeinsamen Rechtsraum am Mittelmeer, für den sich der Europarat gemeinsam mit Tunesien einsetze. Dessen Grundlage müssten Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte sein.
Jagland würdigte speziell den signifikanten Anstieg eingeschriebener Wähler auf mehr als 5,2 Millionen Menschen. Dies sei ein erfreuliches Zeichen der Stärkung der tunesischen Demokratie, sagte der Generalsekretär der Staatenorganisation mit 47 Mitgliedsländern.
Der Wahlprozess sei von «aussergewöhnlicher Qualität» gewesen, betonte auch der Zürcher SP-Nationalrat Andreas Gross, der für die Parlamentarische Versammlung des Europarats eine Delegation von Wahlbeobachtern leitete. Das neue Parlament in Tunis werde «wirklich repräsentativ» für das tunesische Volk sein und über die notwendige Legitimität verfügen, um wesentliche Entscheidungen zu treffen.