Nachhaltigkeit in der «Schorenstadt» – guter Wille oder Verschleierungstaktik?

Es ist schwierig, als Laie an relevante Informationen zu gelangen, welche die Entwicklung in bestimmten Stadtgebieten erklären. Unwissen ist die beste Massnahme, um Protest zu vermeiden. So stellt sich am Beispiel Schorenstadt die Frage, ob gewisse Fakten zum Thema Stadtentwicklung von diversen Akteuren absichtlich unter dem Deckel gehalten werden. Gleich vis-à-vis der Siedlung Schorenmatten öffnet […]

Ab 2015 sind die Häuser und Wohnungen, die als Projekt der 2000-Watt-Gesellschaft realisiert werden sollen, bezugsbereit.

Es ist schwierig, als Laie an relevante Informationen zu gelangen, welche die Entwicklung in bestimmten Stadtgebieten erklären. Unwissen ist die beste Massnahme, um Protest zu vermeiden. So stellt sich am Beispiel Schorenstadt die Frage, ob gewisse Fakten zum Thema Stadtentwicklung von diversen Akteuren absichtlich unter dem Deckel gehalten werden.

Gleich vis-à-vis der Siedlung Schorenmatten öffnet sich der Raum und bietet dem Blick freie Sicht auf eine bemerkenswerte Baustelle: Auf dem ehemaligen Novartis-Gelände entsteht die Stadt der Zukunft – die schorenstadt.

In der stadtnahen und gleichwohl grünen Gegend zwischen dem Badischen Bahnhof und den Langen Erlen soll ein Wohnquartier mit 43 Einfamilienhäusern und 22 Eigentumswohnungen entstehen. Die ansehnliche Siedlung scheint in erster Linie für Familien konzipiert zu sein und möchte ihnen ein vorzügliches Zuhause mit dementsprechend guter Lebensqualität bieten.

Ab 2015 sind die Häuser und Wohnungen, die als Projekt der 2000-Watt-Gesellschaft realisiert werden sollen, bezugsbereit. Damit wäre die «schorenstadt» die erste Siedlung ihrer Art innerhalb der Schweiz. Da der Energieverbrauch allerdings hauptsächlich in der Hand der Bewohner liegt, werden die Käufer mittels der «schorenstadt»-Charta daraufhingewiesen, sich um einen vorbildlichen Verbrauch der Ressourcen zu bemühen. Das Reglement der Käufer verpflichtet diese sodann, zertifizierten Ökostrom sowie Holzwärme des Basler Holzkraftwerks zu beziehen. Trotz dieser Auflagen sei die Nachfrage für die nicht gerade erschwinglichen Behausungen hoch, so die Planer. ƒNatürlich, in einer Gesellschaft, die die Nachhaltigkeit zum Lifestyle erklärt, ist dies nicht weiter verwunderlich. Der soziale Status hat seinen Preis. Doch es ist nicht zu vergessen, dass in einer Zeit, deren Zukunft immer düsterer erscheint, Massnahmen getroffen werden müssen, den Prozess des Niedergangs zu verlangsamen und dem gedankenlosen Umgang mit der Umwelt einen Riegel vorzuschieben. Da ist jedes ehrliche Engagement lobenswert.

Von der Genossenschaft zum Investitionsobjekt?

Allerdings warf die zufällige Begegnung mit einem Bewohner der Genossenschaftssiedlung Schorenmatten einige Fragen auf, welche die Situation vor Ort betreffen. Im Verlaufe des längeren Gesprächs wurde die Skepsis einiger Anwohner deutlich und es fielen Bemerkungen, die einer Nachforschung bedürfen: Die «schorenstadt» sei als Genossenschaft geplant gewesen, doch haben sich diese Absichten bis zum jetzigen Zeitpunkt scheinbar verflüchtigt. 

Die Lage der zugänglichen Information durch unterschiedliche Zeitungen und das Internet ist unbefriedigend. Wer sich für die Vorgänge auf dem Areal Schoren interessiert, wird mit der immer gleichen oberflächlichen Information abgespiesen: Wohnflächen und Kaufpreise werden aufgelistet, Bauplaner genannt, die Vision der Zukunft wird dargelegt und vor allem gibt es viel Werbung, die einen vom Projekt überzeugen soll. Doch detaillierte Hintergrundinformationen zu den einzelnen Bauvorhaben, wie die angesprochenen Genossenschaftswohnungen oder die Primarschule, zu den involvierten Parteien und deren gegenseitigem Verhältnis gibt es auf den ersten Blick keine.

Ein Dokument bringt Licht ins Dunkel

Nach langer Suche findet sich auf der Internetseite des Vereins Belétage eine Datei, die einen Ratschlag des Regierungsrates an den Grossen Rat beinhaltet. Das Dokument vom 4. August 2009 (auch abgelegt im offiziellen Archiv des Grossen Rats) trägt den Titel «Areal Schoren – Festsetzung eines Bebauungsplans, Änderung der Lärmempfindlichkeitsstufen sowie Abweisung von Einsprachen im Bereich Fasanenstrasse, Schorenweg, Egliseeweglein und In den Schorenmatten (Areal Schoren)» und bringt ein wenig Licht ins Dunkel der unklaren Entwicklungen in diesem Bereich.

«Im Rahmen des Gesamtprojektes ‹Neunutzung Hafen St. Johann – Campus Plus› wurde mit Novartis ein Vorkaufsrecht zu Gunsten des Kantons vereinbart. Die Umnutzung des Areals Schoren ist als Kompensation für die weggefallenen 70 Wohneinheiten an der Elsässer- / Hüningerstrasse vorgesehen, (…). Novartis und der Kanton haben sich auf den Kauf von Teilareal B durch den Kanton vorbehaltlich der Genehmigung des vorliegenden Bebauungsplans durch den Grossen Rat geeinigt und einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen. Die Teilbereiche A und C werden von Novartis an Investoren zur Erstellung von Wohnraum abgegeben. (…). Der Kauf von Teilgebiet A (Stadthäuser) und C (Hochhäuser) wurde aus Gründen der Nichteignung für genossenschaftliche Nutzung und aufgrund der jeweiligen Kaufpreise nicht weiterverfolgt. (…). Teilgebiet B eignet sich für Genossenschaften und zusätzlich für quartierdienliche Nutzungen und wird deshalb durch den Kanton entwickelt.»

Die Novartis als wichtiger Player in der Stadtentwicklung

Dieser Abschnitt besagt zum einen, dass die «schorenstadt» (Teilgebiet A) ein Projekt privater Investoren ist. Die Implenia führt das Projekt der Architekten Burckhardt & Partner AG, Gewinner des ausgeschriebenen Wettbewerbes, aus. Weiter wird klar, dass das Teilgebiet B dem Bau von Genossenschaftswohnungen und einer Schule zur Verfügung stehen soll. Zum anderen wird deutlich, welchen grossen Einfluss die Novartis als Akteur auf die Basler Stadtentwicklung hat: Sie dient dem Kanton beziehungsweise der Kanton ihr als Verhandlungspartner beim Tausch von Boden. Frappierend ist dabei der Vergleich des Bodenwerts: Der Boden um die Elsässer- und Hüningerstrasse muss für die Novartis einen enormen Wert haben, da das Areal die Gegend um den Novartis Campus umfasst, was bei den Zentralisierungstendenzen der Firma von hoher Bedeutung sein dürfte. Das Schorenareal, welches hinter dem Badischen Bahnhof, vom Rest der Stadt abgeschnitten, und zwischen den Langen Erlen und der Autobahn isoliert daliegt, wird für die Novartis dementsprechend von geringem Wert sein. Umso erstaunlicher ist es da, dass sich der Kanton nur den Teilbereich B leisten kann und die Teilgebiete A und C an Investoren verkauft wurden. Für die Novartis bedeutet dies einen immensen, nicht nur monetären, Gewinn und verdeutlicht ihre Position im Entwicklungsprozess der Stadt Basel.

Da die Komplexität des Ganzen von enormen Ausmass ist und dazu noch nicht offen dargelegt wird, ist es für den Laien kein Leichtes, sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzten. Den meisten Leuten ist es zeitlich nicht möglich, sich die Zusammenhänge zu erarbeiten, um anschliessend Kritik üben zu können. So wird die kritische Auseinandersetzung Privater durch die öffentliche Hand bereits im Kern verhindert. Wären die Informationen leicht offen zugänglich, so wäre die Aufmerksamkeit der Bevölkerung gegenüber scheinbar banalen Planungsthematiken höher und ihre Interesse, an der Gestaltung ihrer Stadt mitzuwirken, grösser.

Medialisierter Hype um Nachhaltigkeit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Informationen rund um die «schorenstadt» schwammig sind und die vermeintliche Transparenz ein geeignetes Mittel ist, die Bevölkerung davon abzuhalten, sich für die Prozesse innerhalb der Stadtplanung zu interessieren. Denn die Schorenstadt verkörpert die Hoffnung das Referenzprojekt für nachhaltiges Bauen zu werden und vernebelt den Blick auf die dahinterliegenden komplexen Mechanismen und engen Verknüpfungen von Wirtschaft und Politik. Der medialisierte Hype um Nachhaltigkeit verdeckt so die eigentlichen Absichten.

Allerdings, bei aller Kritik, die gerne gegen Bauvorhaben des Staates geübt wird: Das Vorhaben «schorenstadt» ist ein gutes Projekt. Es wird sich herausstellen, ob die lobenswerten Absichten der Planer in Sachen Nachhaltigkeit erfüllt werden oder ein frommer Wunsch bleiben: Es liegt in den Händen der Bewohner. Ebenso wie der Wille zur Mitgestaltung der Zukunft Basels.

An dieser Stelle sei auch darauf aufmerksam gemacht, dass die Entwicklungen rund um den Novartis Campus nicht bloss zu verteufeln sind, sondern durchaus auch positive Entwicklungen für die Basler Bevölkerung haben können und der Kanton bemüht ist, diese zu verwirklichen. Die Frage ist nur, vermag sich der Kanton gegenüber der Allmacht Novartis zu behaupten?

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