Jährlich ziehen sich schätzungsweise 70’000 Personen in Spitälern und Pflegeheimen eine Infektion zu, 2000 sterben daran. Viele Todesfälle wären vermeidbar. Trotzdem verzichtet der Bund auf Vorschriften und hofft auf den guten Willen der Gesundheitseinrichtungen.
Am Montag hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Konsultation zur Strategie NOSO eröffnet. Deren Ziel ist ein schweizweit einheitliches, effizientes Vorgehen zur Überwachung, Verhütung und Bekämpfung von Spital- und Pflegeheiminfektionen, wie die Verantwortlichen vor den Medien in Bern erläuterten. Ambulante Behandlungen werden von der Strategie nicht erfasst.
Diese umfasst die Bereiche Governance, Monitoring, Verhütung und Bekämpfung sowie Bildung und Forschung. Bei der Governance geht es etwa darum, bewährte Massnahmen als national einheitliche Standards und Richtlinien festzulegen, wie es in dem Strategiepapier heisst. Ein Ziel des Monitorings ist es, ein nationales System zur Überwachung der Infektionen und zu ihren Auswirkungen aufzubauen.
Im Kapitel Verhütung ist vorgesehen, Personal, Patienten und Besucher von Spitälern und Pflegeheimen für Hygienemassnahmen wie Händedesinfektion zu sensibilisieren. Bei Bildung und Forschung geht es unter anderem um die Ausbildung des Personals im Bereich Infektionsprävention.
Grosser Handlungsbedarf
Spital- und Pflegeheiminfektionen – so genannte nosokomiale Infektionen – betreffen insbesondere die Harn- und die Atemwege oder treten als Wundinfektionen und Blutvergiftungen auf. Aktuelle Zahlen dazu gebe es nicht, erklärte der Infektiologe Stefan Kuster, Mitglied der Gruppe Swissnoso, die sich der Reduktion von nosokomialen Infektionen und multiresistenten Keimen im Schweizer Gesundheitswesens widmet.
Eine im Zusammenhang mit der Strategie NOSO durchgeführte Umfrage macht jedoch den Handlungsbedarf deutlich. So hat nicht einmal die Hälfte der Spitäler einen Spezialisten für Spiralepidemiologie und Spitalhygiene im Haus, bei den Pflegeheimen sind es gerade einmal 13 Prozent. Systematische Massnahmen zur Prävention von Spitalinfektionen gibt es lediglich in der Hälfte der Spitäler, und von diesen kennen nicht einmal alle ein Händehygieneprogramm.
Prävention kostet
Viele Spitäler hätten bereits Massnahmen zur Überwachung oder Vermeidung von nosokomialen Infektionen getroffen, sagte Kuster. «Es gibt aber noch Luft nach oben.» Von Schlendrian mag Kuster nicht sprechen. «Ich glaube nicht, dass bewusst Leid von Patienten in Kauf genommen wird», sagte er.
Andererseits wies der Experte auf die hohen Kosten von Präventionsmassnahmen hin. Dafür brauche es zuerst Investitionen, die sich, wenn überhaupt, erst später rechneten. Das sei gegenüber einem Verwaltungsrat nicht immer einfach zu rechtfertigen.
Trotz der Mängel im Bereich Spital- und Pflegeheiminfektionen und der vielen Todesfälle sind in der Strategie keine verbindlichen Vorschriften auf Verordnungs- oder Gesetzesebene vorgesehen. Die Grundlagen dafür gebe es zwar, sagte Daniel Koch, Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten im BAG. Diese würden auch eingesetzt, wenn sie zum Ziel führten. Viel wichtiger sei es aber, dass die Verantwortlichen in Spitälern und Pflegeheimen von den Massnahmen überzeugt seien.
Weltweites Problem
Neben zusätzlichen Erkrankungen und Toten verursachen die nosokomialen Infektionen geschätzte Zusatzkosten von 230 Millionen Franken pro Jahr. Das Problem beschränkt sich nicht auf die Schweiz: Die Zahl der Todesfälle allein in Europa wird auf 37’000 geschätzt.
Der Entwurf für die Strategie NOSO wurde gestützt auf das geänderte Epidemiengesetz und die die gesundheitspolitischen Prioritäten des Bundesrats «Gesundheit 2020» erarbeitet. Konkrete Ziele, wie viele Infektionen vermieden werden sollen, sind darin noch nicht enthalten. Ebenfalls noch unklar ist laut Koch, wie viel Geld für die Umsetzung der geplanten Massnahmen zur Verfügung steht. Die Konsultation dauert bis zum 14. September.