Der Nationalrat ist damit einverstanden, die Regeln zur Steueramtshilfe erneut anzupassen. Um Sanktionen anderer Staaten gegen die Schweiz zu verhindern, hat er am Donnerstag eine Revision des Steueramtshilfegesetzes gutgeheissen.
Der Nationalrat hat entschieden, dass Steuersünder nicht mehr in jedem Fall vorgängig informiert werden sollen, wenn Daten über sie an andere Staaten übermittelt werden. In Ausnahmefällen soll die Information künftig nachträglich erfolgen. Die Revision des Steueramtshilfegesetzes folgte schon kurz nach dessen Einführung.
«Die Kröte ist zu schlucken»
Wie alle Fragen rund um das Bankgeheimnis gab auch diese zu reden. Gegen die Änderung stellte sich die SVP. «Einmal mehr sollen wir uns nach den Befehlen der OECD richten», kritisierte Hans Kaufmann (SVP/ZH). «Einmal mehr ist der Bundesrat eingeknickt.» Mit der Änderung würden rechtsstaatliche Garantien über Bord geworfen.
Fulvio Pelli (FDP/TI) pflichtete ihm teilweise bei: Der neue Standard sei mit der Rechtsstaatlichkeit schwer vereinbar. Zunehmend gelte das Recht des Mächtigeren. Doch die Schweiz habe keine Alternative. «Die Kröte ist zu schlucken, im Interesse des Werk- und Finanzplatzes Schweiz.»
Im Interesse der Schweiz
Auch der Bundesrat hatte eingeräumt, dass die Änderung heikel sei. Sie stelle eine Einschränkung der in der Verfassung garantierten Rechtsweggarantie dar. Es liege jedoch im Interesse der Schweiz, den Empfehlungen der OECD nachzukommen. Die Mehrheit sah dies auch so: Der Nationalrat stimmte der Änderung mit 124 zu 66 Stimmen zu.
Allerdings verschärfte er die Bedingungen für eine nachträgliche Information leicht: Der andere Staat soll geltend machen müssen, dass eine vorgängige Information des Betroffenen sowohl den Zweck als auch den Erfolg der Untersuchung gefährden würde. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf rief den Rat vergeblich dazu auf, nicht von der Formulierung des internationalen Standards abzuweichen.
Gruppenanfragen präzisiert
Im Gesetz wird auch präzisiert, was unter Gruppengesuchen zu verstehen ist. Dabei handelt es sich um Gesuche, mit welchen Informationen über mehrere Personen verlangt werden, die nach einem identischen Verhaltensmuster vorgegangen sind und anhand bestimmter Angaben identifizierbar sind.
Was Gruppengesuche genau beinhalten müssen, bestimmt der Bundesrat. Die SVP scheiterte mit einem Antrag, diese Kompetenz dem Parlament zuzusprechen. Gruppengesuche sind bereits nach dem geltenden Gesetz möglich. Neu soll ein auf Gruppengesuche zugeschnittenes Informationsverfahren geschaffen werden.
Nicht auf Basis gestohlener Daten
Verzichtet hatte der Bundesrat nach der Vernehmlassung auf eine Lockerung der Regeln zum Umgang mit gestohlenen Daten. Ursprünglich hatte er Amtshilfe bei gestohlenen Daten zulassen wollen, sofern der andere Staat die Daten nicht aktiv beschafft hat oder beschaffen liess. Nach heftiger Kritik liess er den Plan fallen.
Eine linke Minderheit brachte die Frage im Nationalrat wieder aufs Tapet. Sie beantragte, dass nur dann keine Amtshilfe gewährt werden sollte, wenn das Gesuch den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt. Dass es auf gestohlenen Daten basiert, sollte kein Hinderungsgrund sein. Der Rat lehnte dies aber mit 125 zu 50 Stimmen ab.
Hunderte Gesuche blockiert
Die Gegner der Amtshilfe auf Basis gestohlener Daten argumentierten, damit würde geradezu ein Anreiz für kriminelle Handlungen geschaffen. Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) warnte vergeblich davor, dass ohne Änderung in diesem Punkt das Gesetz wohl in einem halben Jahr erneut angepasst werden müsse.
Im Bericht zur Vernehmlassung hatte der Bundesrat geschrieben, wichtige Partnerländer gäben sich mit der aktuellen Praxis nicht zufrieden, was zu einem grossen Politikum zu werden drohe. Weil die Schweiz auf Basis gestohlener Daten keine Amtshilfe leistet, sind Hunderte von Gesuchen blockiert. Allein aus Indien sind laut Widmer-Schlumpf rund 500 Gesuche offen.
Empfehlungen des Global Forum
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat das revidierte Steueramtshilfegesetz mit 130 zu 55 Stimmen bei 4 Enthaltungen gut. Es geht nun an den Ständerat. Mit der Gesetzesrevision möchte der Bundesrat erreichen, dass die Schweiz zur zweiten Phase des Peer Review zugelassen wird. Es handelt sich dabei um eine Prüfung durch das Global Forum, ein Gremium der OECD.
Im Nationalrat wiesen die einen darauf hin, dass auch andere Länder noch nicht zur zweiten Phase zugelassen wurden. Die anderen gaben zu bedenken, die Schweiz sei das einzige OECD-Land, das noch nicht zugelassen sei. Bei den übrigen Ländern handle es sich um «exotische Feriendestinationen», wie es Leutenegger Oberholzer ausdrückte.
Die Möglichkeit der nachträglichen Information Betroffener ist eine von drei Massnahmen, die das Global Forum der Schweiz 2011 empfohlen hatte. Die zweite Massnahme betrifft die Transparenz bei Inhaberaktien, die dritte Doppelbesteuerungsabkommen mit Amtshilfeklauseln nach OECD-Standard. Eine der drei Empfehlungen muss die Schweiz vollständig umsetzen, damit sie zur zweiten Phase des Peer Review zugelassen wird.