In der Bundesverfassung soll kein neuer Grundsatz zum Service public verankert werden. Der Nationalrat hat es am Mittwoch abgelehnt, auf eine entsprechende Vorlage einzutreten. Der Ständerat hatte dem neuen Artikel zugestimmt.
Der Entscheid im Nationalrat fiel mit 101 zu 85 Stimmen bei 1 Enthaltung. Die Gegner aus den Reihen der SVP, FDP, BDP und GLP versicherten, die Grundversorgung sei auch ihnen wichtig. Die geplante Verfassungsbestimmung sei aber überflüssig.
Post und der öffentlicher Verkehr funktionierten, das Stimmvolk sollte nicht für eine rein symbolische Verfassungsänderung bemüht werden, hiess es im Rat. Beat Walti (FDP/ZH) sprach von einem «Bluff für die Galerie».
Bröckelnde Solidarität
Mit den Gegnern stimmte auch ein Teil der CVP. Die CVP-Fraktion hatte sich für den Artikel ausgesprochen, zusammen mit SP und Grünen. Die Befürworter argumentierten, es gehe um ein Bekenntnis zur Grundversorgung und zu den Randregionen – «ausserhalb der Profitlogik», wie es Regula Rytz (Grüne/BE) ausdrückte.
Würden die Preise für öffentliche Dienste rein betriebswirtschaftlich berechnet, wäre die Beförderung eines Briefes von Zürich nach Meiringen teurer als von Zürich nach Bern, gab sie zu bedenken. Der Grundversorgung gelte es Sorge zu tragen. Viola Amherd (CVP/VS) erklärte, es gehe um die nationale Kohäsion. Die Solidarität drohe zu bröckeln, dem könne ein neuer Verfassungsartikel etwas entgegensetzen.
Ständerat für schlanke Variante
Dies überzeugte die Mehrheit im Nationalrat aber nicht. Die Vorlage geht nun zurück an den Ständerat, der sich für den Artikel ausgesprochen hatte. Umstritten war jedoch auch in der kleinen Kammer, was darin genau stehen sollte. Mit Stichentscheid seines Präsidenten wählte der Ständerat die schlankste Variante. Die Mehrheit der vorberatenden Nationalratskommission wollte dagegen eine umfassendere Bestimmung.
Bereits heute wird die Grundversorgung in der Verfassung erwähnt. In Artikel 43a steht, dass Leistungen der Grundversorgung allen Personen in vergleichbarer Weise offen stehen müssen. Nach dem Willen des Ständerates soll ein einziger Satz dazukommen: «Bund und Kantone setzen sich für eine ausreichende, allen zugängliche Grundversorgung ein.» Die Nationalratskommission wollte darüber hinaus definieren, was unter «Grundversorgung» zu verstehen ist.
Dauerhaft verfügbar und erschwinglich
In der Verfassung sollte demnach verankert werden, dass die Grundversorgung die Güter und Dienstleistungen des üblichen Bedarfs umfasst. Diese sollten in allen Landesgegenden und für die gesamte Bevölkerung dauerhaft verfügbar und erschwinglich sein. Explizit festhalten wollte die Kommission indes, dass aus diesen Bestimmungen keine unmittelbaren Ansprüche auf staatliche Leistungen abzuleiten wären.
Das Parlament selbst hatte zusätzliche Bestimmungen zur Grundversorgung verlangt. Vor über zehn Jahren hatte es einem entsprechenden Vorstoss zugestimmt. Der Bundesrat sieht keinen Nutzen darin, erfüllte aber den Auftrag und legte drei Varianten vor.
Initiative der Konsumentenzeitschriften
Sollte das Parlament am Ende einem neuen Verfassungsartikel doch noch zustimmen, hätte das Volk das letzte Wort. Die Befürworter sehen eine solche Verfassungsbestimmung auch als Gegenvorschlag zur Initiative «Pro Service public», wenngleich dies formell nicht zutrifft. Die Initiative sollte nicht unterschätzt werden, warnten mehrere Redner im Nationalrat.
Die Konsumentenzeitschriften «K-Tipp», «Saldo», «Bon à Savoir» und «Spendere Meglio» wollen mit dem Volksbegehren erreichen, dass Post, Swisscom oder SBB der Bevölkerung einen guten und bezahlbaren Service bieten.
Grundsätze für Post und SBB
Die Initianten fordern neue Grundsätze für alle Unternehmen, die vom Bund kontrolliert werden oder einen Auftrag zur Grundversorgung haben. Diese sollen nicht nach Gewinn streben dürfen und auf Quersubventionierungen verzichten müssen. Die Löhne der Mitarbeitenden sollen nicht über jenen der Bundesverwaltung liegen.
Die Gegner der Initiative befürchten, diese könnte das Gegenteil dessen bewirken, was die Initianten beabsichtigen, nämlich den Service public gefährden. Bei einem Ja würde die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der betroffenen Betriebe geschwächt, warnen sie.