Der Nationalrat hält nichts von einem Asylmoratorium. Er hat am Mittwochabend im Rahmen einer Sonderdebatte eine Motion der SVP-Fraktion mit 103 zu 48 Stimmen bei 3 Enthaltungen abgelehnt. Die SVP wurde heftig kritisiert.
Nach dem Willen der Volkspartei sollte der Bundesrat mittels Notrecht die Anwendung des Asylgesetzes für mindestens ein Jahr teilweise ausser Kraft setzen. Während dieser Zeit dürften keine Personen mehr ins Asylverfahren aufgenommen oder als Flüchtlinge anerkannt werden. Zur Durchsetzung wären die Grenzen systematisch zu kontrollieren, wenn nötig mit Unterstützung des Militärs.
Die Forderung nach einem solchen Asylmoratorium begründete Heinz Brand (SVP/GR) damit, dass die Schweiz seit Jahren überdurchschnittlich viele Asylsuchende aufnehme. Gleichzeitig spielten sich in anderen Ländern «unvorstellbare Szenarien» ab. Auch die Schweiz könnte von einem plötzlichen starken Zustrom erfasst werden.
«Menschenverachtend und kaltherzig»
Im Rat stiess die Motion auf Unverständnis. Rosmarie Quadranti (BDP/ZH) stellte fest, sie zeuge von Kaltherzigkeit. Sie habe sich gefragt, ob man dazu nicht lieber schweigen sollte. «Eigentlich fehlen einem die Worte.» Doch angesichts der «menschenverachtenden» Politik der SVP, die systematisch Fremdenfeindlichkeit schüre, dürfe man nicht länger schweigen.
Ueli Leuenberger (Grüne/GE) nannte die Forderung der SVP «schamlos». Balthasar Glättli (Grüne/ZH) warf der Partei vor, im Wahlkampf unter dem Stichwort «Asylchaos» Hetze zu betreiben. «Notstand herrscht, ja, aber nicht hier», erklärte Glättli. Notstand herrsche zum Beispiel in Syrien.
Asylpolitik à la Ungarn
Hätte die SVP Grösse und Anstand, würde sie ihre Motion zurückziehen, befand Andy Tschümperlin (SP/SZ). Nach den Ereignissen der vergangenen Wochen wäre dies die einzige Konsequenz. Wer wissen wolle, wohin eine Asylpolitik à la SVP führe, solle nach Ungarn schauen.
Auch Philipp Müller (FDP/AG) erwähnte den Stacheldrahtzaun in Ungarn. «Das geht nicht», sagte er. «Wir können die Schweiz nicht einfach einhagen.» Gleichzeitig stellte Müller jedoch in Frage, ob Personen aus Eritrea tatsächlich Schutz benötigten.
Ende der humanitären Tradition
Ruth Humbel (CVP/AG) warf der SVP vor, sich in einen Widerspruch zu verwickeln. Einerseits versichere sie, an Leib und Leben Bedrohte aufnehmen zu wollen. Andererseits wolle sie keine Asylverfahren mehr durchführen. Damit könnte aber nicht mehr unterschieden werden, wer Schutz brauche und wer nicht. Ein Asylmoratorium wäre das Ende der humanitären Tradition der Schweiz.
Einhellig betonten die Rednerinnen und Redner, von «Asylchaos» könne keine Rede sein, die Schweiz sei mit erwarteten 30’000 Asylgesuchen im laufenden Jahr keineswegs überfordert. Würden die Forderungen der SVP umgesetzt, würde hingegen tatsächlich Chaos herrschen, befand Beat Flach (GLP/AG).
«Wir sind auch betroffen»
Die SVP wehrte sich gegen die Kritik. «Wir sind auch betroffen», versicherte Adrian Amstutz (SVP/BE). Das ertrunkene Kind, die Erstickten im verschlossenen Lastwagen – all das sei schlimm. Doch die Schweiz sei Teil des «Anreizsystems», welches die Menschen geradezu in die Arme der Schlepper treibe. Darum brauche es einen Marschhalt. Amstutz sprach von «Hetze» gegen die SVP und bat die Ratskollegen darum, sich zu mässigen.
Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Vorstoss darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagenen Massnahmen der Flüchtlingskonvention widersprechen würden. Ausserdem seien sie mit den Zielen des Bundesrates in der Asylpolitik nicht vereinbar.
«Kein einziger vernünftiger Vorschlag»
Die Motion enthalte im Gegensatz zur vorher beschlossenen Asylreform «keinen einzigen vernünftigen Vorschlag» für die Bewältigung der Herausforderungen, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Der Vorstoss sei auch rechtsstaatlich bedenklich, weil er Notrecht verlange in einer Situation, in welcher die Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien.
Mit dem Nein des Nationalrates ist die Motion vom Tisch. Da die SVP dieselbe Motion auch im Ständerat eingereicht hatte, wird sich aber auch die kleine Kammer noch damit befassen. Sie führt die entsprechende Sonderdebatte am Donnerstag.