Der Nationalrat stellt den Kompromiss in Frage, mit dem der Fischerei-Verband 2010 zum Rückzug seiner Initiative «Lebendiges Wasser» bewegt werden konnte. Er will die neuen Regeln für den Gewässerschutz lockern, bevor sie überhaupt umgesetzt sind.
Das 2011 verschärfte Gewässerschutzgesetz sieht vor, dass 4000 der insgesamt 15’000 Kilometer stark verbauter Gewässer revitalisiert werden müssen. Wo nicht revitalisiert wird, muss so genannter Gewässerraum ausgeschieden werden. Dieser dient den natürlichen Funktionen der Gewässer, dem Hochwasserschutz und der Gewässernutzung. Auf einer Fläche von 20’000 Hektaren müssen die Bautätigkeit und die landwirtschaftliche Nutzung eingeschränkt werden.
Der Schweizerische Fischerei-Verband war mit seiner Initiative noch weiter gegangen, erklärte sich aufgrund dieser Lösung aber zum Rückzug bereit. Doch die Kantone, die Vorgaben bis 2018 umgesetzt haben sollten, tun sich schwer.
Nicht weniger als neun Standesinitiativen aus bäuerlichen Kantonen sind bei den eidgenössischen Räten eingegangen. Sieben davon verlangen eine Lockerung des Gewässerschutzgesetzes. Die Kantone wollen damit insbesondere verhindern, dass Landwirtschaftsland nur noch eingeschränkt genutzt werden darf, weil es im Gewässerraum liegt.
Anpassungen im Gang
Der Ständerat hatte dafür ein gewisses Verständnis. Die kleine Kammer fühlte sich an den mit dem Fischerei-Verband ausgehandelten Kompromiss gebunden. Sie lehnte die Standesinitiativen im letzten März ab. Per Motion beauftragte sie den Bundesrat aber, in der Verordnung und den Richtlinien zum Gewässerschutzgesetz den maximal möglichen Handlungsspielraum vorzusehen.
Anders der Nationalrat: Er hat am Mittwoch der Motion des Ständerats, aber auch sämtlichen Standesinitiativen zugestimmt. Bei der Umsetzung habe der Bundesrat den Willen des Parlaments missachtet, sagte Kommissionssprecher und Bauernverbands-Direktor Jacques Bourgeois (FDP/FR).
Adèle Thorens Goumaz (Grüne/VD) wies darauf hin, dass die Kantone bereits viel Spielraum hätten, und die Revision der Verordnung sei im Gang. Auch Beat Jans (SP/BS) sah keinen Handlungsbedarf mehr: Soweit Kritik an der Umsetzung berechtigt war, sei sie in der Revision aufgenommen worden. Für die Fruchtfolgeflächen gelte ein Sonderstatus, Ernteausfälle würden entschädigt. Eine Änderung des Gesetzes wäre ein Verstoss gegen Treu und Glauben, sagte Jans.
Umweltministerin Doris Leuthard wies auf den weit gehenden Handlungsspielraum hin, den die Kantone schon heute hätten. Das Gesetz dürfe nicht angepasst werden, wenn der Kompromiss mit dem Fischerei-Verband respektiert werde solle. Der Nationalrat folgte aber dem Antrag seiner Umweltkommission und stimmte den Standesinitiativen zu.