Der Nationalrat will den Alkoholverkauf zu Gunsten des Jugendschutzes weniger stark einschränken als der Bundesrat und der Ständerat. Namentlich will er es Detailhandelsgeschäften nicht verbieten, zwischen 22 und 6 Uhr alkoholische Getränke zu verkaufen.
Eine rot-grüne Minderheit hätte wie der Ständerat dem Vorschlag des Bundesrates folgen wollen. Ihren Antrag lehnte der Rat jedoch mit 114 zu 59 Stimmen ab. Die Mehrheit wollte nichts davon wissen, wegen Problemen mit Risikotrinkern die Freiheit aller einzuschränken.
«Lager anlegen»
Könne ab 22 Uhr kein Alkohol mehr gekauft werden, könnten Jugendliche sich organisieren und ein Lager anlegen“, sagte Sylvia Flückiger (SVP/AG). Markus Ritter (CVP/SG) erinnerte auf die im Gesetz verankerte Möglichkeit für die Kantone, bei Bedarf strengere Regeln für den Alkoholverkauf zu erlassen.
Dagegen verwies Jacques-André Maire (SP/NE) als Befürworter auf Studien, die zeigten, dass das Suchtverhalten von der Verfügbarkeit alkoholischer Getränke abhänge. Städte und Gemeinden hätten das Parlament ersucht, etwas gegen das Problem des übermässigen Trinkens zu unternehmen.
Louis Schelbert (Grüne/LU) berichtete von Erfahrungen aus Genf, wo die Läden nachts keinen Alkohol verkaufen dürfen. Das Rauschtrinken unter Jugendlichen habe seither deutlich abgenommen, und es würden weniger Menschen mit Alkoholvergiftung in Spitäler eingewiesen.
Auch Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf setzte sich vergeblich für das Nachtverkaufsverbot ein. Es sei eine von den Kantonen gewünschte minimale Regelung. Auch Ärzte und Polizeivertreter befürworteten diese Einschränkung.
Wirtschaftsinteressen vor Jugendschutz
Der Nationalrat setzte wirtschaftliche Interessen auch in anderen Punkten über den Jugendschutz: Das vom Bundesrat beantragte Verbot für Happy Hours für Spirituosen kippte er aus der Vorlage. Schon der Ständerat hatte es abgelehnt.
Die vom Ständerat in die Vorlage aufgenommenen Mindestpreise für alkoholische Getränke, abhängig vom Alkoholgehalt, lehnte der Nationalrat ebenfalls ab. Daran festhalten wollten nur die SP und ein Teil der grünen Fraktion.
Nichts helfe so sehr gegen übermässigen Alkoholkonsum wie der Preis, sagte Ada Marra (SP/VD) dazu. Wolle man den Risikokonsum eindämmen und die Jugend schützen, müsse man beim Preis ansetzen. Thomas Maier (GLP/ZH) dagegen warnte vor Einkaufstourismus und der Gefährdung von Arbeitsplätzen.
SP und Grüne scheiterten sodann mit dem Antrag für strengere Werbeauflagen für Wein und Bier. Die SVP wollte die rechtliche Grundlage für Testkäufe streichen und festschreiben, dass Menschen, die nach übermässigem Alkoholkonsum ins Spital oder in eine Ausnüchterungszelle gebracht werden müssen, dafür selbst bezahlen sollten. Auch ihre Anträge wurden abgelehnt.
Das Alkoholhandelsgesetz wurde schliesslich mit 121 zu 59 Stimmen genehmigt, Nein sagten SP und Grüne. Das Alkoholhandelsgesetz ist der zweite Teil der Vorlage für das totalrevidierte Alkoholgesetz. Den ersten Teil, das Spirituosenbesteuerungsgesetz, hatte der Rat zuvor mit 97 zu 80 Stimmen gutgeheissen.
Ausbeutebesteuerung bei Spirituosen
Bei dieser Teilvorlage berücksichtigte die grosse Kammer wie schon der Ständerat die Interessen der Wirtschaft. Beide Kammern sagten Ja zur so genannten Ausbeutebesteuerung. Dieses System soll inländischen Spirituosen-Produzenten im Inland gegenüber ausländischen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Ausgegangen wird bei dem Modell von der erwarteten Ausbeute aus dem zu verarbeitenden Rohstoff. Diese würde zu einem ermässigten Satz besteuert. Übertrifft die effektive Ausbeute bis zu einer gewissen Menge die Schätzung, ist sie steuerfrei. Ist die Ausbeute höher als diese Schwelle, gilt der normale Steuersatz.
Der Nationalrat fasste den Kreis der Begünstigten allerdings enger als der Ständerat: Die Ausbeutebesteuerung will er nur zulassen, wenn die Hersteller Beeren sowie Kern- und Steinobst aus der Schweiz verwenden. SP, GLP und BDP und auch Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf wehrten sich vergeblich gegen dieses Steuermodell.
Um finanzielle Ausfälle wegen der Ausbeutebesteuerung zu kompensieren, beantragte die Mehrheit der vorberatenden Kommission eine Erhöhung der Steuer pro Liter reinen Alkohols von 29 auf 32 Franken und kam damit durch.