Die Asylverfahren in der Schweiz sollen beschleunigt werden. Das ist das Ziel der Reform, die der Nationalrat am Mittwoch beschlossen hat. Die Pläne stiessen wie bereits im Ständerat auf breite Zustimmung. Dagegen stellte sich nur die SVP.
Über den Umbau des Asylsystems diskutierte der Nationalrat unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse und Bilder der letzten Wochen. Nach rund zehn Stunden Beratungen stimmte er der Reform zu, mit 99 zu 53 Stimmen bei 12 Enthaltungen.
Die internationale Flüchtlingskrise wirkte sich zwar nicht auf die Entscheide aus, wohl aber auf die Voten. Kaum ein Redner oder eine Rednerin wies nicht darauf hin. Wegschauen sei angesichts des unfassbaren Elends nicht mehr möglich, sagte Silvia Schenker (SP/BS).
Schweiz zu attraktiv
Auch SVP-Vertreter stellten fest, die Bilder gingen an niemandem spurlos vorbei. Verglichen mit früheren Asyldebatten schlugen sie mildere Töne an. Von ihren Forderungen nach Verschärfungen des Asylgesetzes rückte die SVP indes nicht ab.
Nur bei einem kleinen Teil der Migranten handle es sich um echte Flüchtlinge, sagte Heinz Brand (SVP/GR). Die Attraktivität der Schweiz als Asylland müsse gesenkt werden. Mit einer «grenzenlosen Aufnahmepolitik» würden die Dramen nicht aufhören, sondern erst recht angeheizt.
Interesse an Asylchaos
Von der geplanten Reform hält die SVP nichts. Sie beantragte dem Nationalrat, auf die Vorlage nicht einzutreten oder diese an den Bundesrat zurückzuschicken. Der Rat lehnte beides ab, mit 135 zu 52 Stimmen. Für ihren Oppositionskurs erntete die SVP viel Kritik.
Ihr wurde vorgeworfen, an Lösungen gar nicht interessiert zu sein. Bei der Reform gehe es darum, «das Chaos zu verhindern, das die SVP offenbar so gerne hätte, um daraus Kapital schlagen zu können», sagte etwa Kurt Fluri (FDP/SO). Erfolglos blieb die SVP nicht nur mit ihrem grundsätzlichen Widerstand, sondern auch mit ihren Dutzenden von Änderungsanträgen.
Ja zu Gratisanwälten
Der Nationalrat folgte ausnahmslos seiner Kommission und blieb damit fast durchs Band auf Bundesratskurs. Künftig sollen die meisten Asylverfahren noch maximal 140 Tage dauern, inklusive Beschwerden. Voraussetzung dafür ist, dass die Asylsuchenden für die gesamte Dauer des Verfahrens in Zentren des Bundes untergebracht werden.
Damit die Verfahren trotz des hohen Tempos und der kurzen Beschwerdefristen rechtsstaatlich korrekt sind, sollen Asylsuchende eine kostenlose Rechtsvertretung erhalten. Dieser Punkt war in der Vernehmlassung bei den bürgerlichen Parteien auf Skepsis gestossen. Mit Ausnahme der SVP halten inzwischen aber alle die «Gratisanwälte» für sinnvoll. Die FDP-Vertreter verwiesen auf die positiven Erfahrungen im Testzentrum Zürich. Die Zahl der Beschwerden sei gesunken.
Sonderzentren für Renitente
Einverstanden zeigte sich der Nationalrat auch damit, dass Bauten des Bundes für begrenzte Zeit ohne kantonale und kommunale Bewilligung und ohne Plangenehmigungsverfahren für die Unterbringung von Asylsuchenden benutzt werden dürfen. Wie der Ständerat sprach sich der Nationalrat ausserdem dafür aus, dass renitente Asylsuchende zwingend in einem besonderen Zentrum untergebracht werden müssen. Der Bundesrat hätte dies lediglich ermöglichen wollen.
Der Nationalrat passte allerdings die Formulierung an: Eine gesonderte Unterbringung soll nur dann zwingend sein, wenn jemand die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährdet. Mit dieser Version zeigte sich der Bundesrat einverstanden. Die SVP forderte geschlossene Zentren. Aus Sicht der Ratsmehrheit ist ein Freiheitsentzug ohne richterlichen Entscheid aber keine Option.
Nein zum Botschaftsasyl
Ebenso erfolglos wie die SVP waren SP und Grüne mit ihren Anträgen. Sie forderten unter anderem, dass die Schweiz das vor drei Jahren abgeschaffte Botschaftsasyl wieder einführt. Könnten Flüchtlinge auf Vertretungen im Ausland ein Asylgesuch einreichen, müssten sie sich nicht Schleppern ausliefern, argumentierte Balthasar Glättli (Grüne/ZH). Wer die Schlepperei bekämpfen wolle, müsse auch legale Einreisemöglichkeiten schaffen.
Für das Anliegen zeigten zwar viele Verständnis. Aus Sicht der Mehrheit braucht es aber international koordinierte Lösungen. Handle die Schweiz im Alleingang, würden ihre Botschaften gestürmt, warnten die Gegner. Weil der Rat das Botschaftsasyl ablehnte, enthielten sich die Grünen in der Gesamtabstimmung der Stimme, obwohl sie – wie Glättli sagte – der Reform durchaus auch Positives abgewinnen können.
Sachleistungen statt Geld
Die Vorlage geht nun zur Differenzbereinigung zurück an den Ständerat. Abweichend vom Ständerat beschloss der Nationalrat etwa, dass die Nothilfe für vorläufig aufgenommene Personen nach Möglichkeit in Form von Sachleistungen auszurichten ist. Hier hatte sich die SVP in der Kommission durchgesetzt. Im Rat war es mit 89 zu 81 Stimmen bei 5 Enthaltungen der knappste Entscheid.
Zu Beginn der Beratungen hatte Sommaruga festgestellt, die internationale Flüchtlingskrise gehe unter die Haut. Und sie werfe Fragen auf. Einfache Antworten gebe es nicht. «Wir können heute nicht alle Probleme lösen, aber wir können das Schweizer Asylwesen einen grossen, einen wichtigen Schritt weiterbringen», sagte die Bundespräsidentin.