Der Nationalrat will das Rentenalter auf 67 Jahre erhöhen, sobald die AHV in finanzielle Schieflage gerät. Einen Zuschlag auf den AHV-Renten lehnte er am Mittwoch ab. Bei der Reform der Altersvorsorge ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Dass es eine Reform braucht, ist unbestritten. Der AHV fehlt das Geld, um für immer mehr Rentner aufzukommen. Die berufliche Vorsorge leidet unter tiefen Renditen und der steigenden Lebenserwartung. Als Zweitrat geht der Nationalrat einen eigenen Weg, um diesen Herausforderungen zu begegnen.
Bei den Ecksteinen der Reform blieb er auf dem vom Bundesrat vorgezeichneten und vom Ständerat bestätigten Kurs. Das Rentenalter der Frauen wird auf 65 Jahre erhöht, was der AHV im Jahr 2030 unter dem Strich 1,3 Milliarden Franken einbringt. Der Umwandlungssatz, mit dem die Höhe der Pensionskassenrente berechnet wird, sinkt von 6,8 Prozent auf 6 Prozent. Den Versicherten entgehen dadurch 12 Prozent ihrer Renten.
Umstrittener Ausgleich
Bei der Frage, wie dieser Ausfall zu kompensieren ist, hat die Einigkeit zwischen den Räten bereits ein Ende. Der Ständerat will neue AHV-Renten um 70 Franken aufstocken und den Plafond für die Ehepaar-Renten erhöhen. Der Lösung hatten SP und CVP zum Durchbruch verholfen. Sie würde der Linken erlauben, ihrer skeptischen Basis wenigstens ein substanzielles Zugeständnis vorzuzeigen.
Im Nationalrat jedoch stellen SVP und FDP die Mehrheit. Sie hielten nichts davon, die Gunst des Volkes mit Geschenken zu erkaufen. Darüber, dass die Einbussen in der 2. Säule irgendwie ausgeglichen werden müssen, herrschte aber weitgehend Einigkeit. Ohne Kompensation gebe es keine Reform, warnte Bundesrat Alain Berset.
FDP und GLP setzen sich durch
Durchgesetzt hat sich im Nationalrat ein Modell, das FDP und GLP im letzten Moment eingebracht hatten: Mit diesem wird der Koordinationsabzug vollständig abgeschafft. Vorgesehen sind nur noch zwei Beitragssätze, wobei jüngere Arbeitnehmende mehr, ältere weniger einzahlen als heute. Arbeitnehmer ab 40 Jahren werden mit einem Beitrag aus dem Sicherheitsfonds beim Sparen unterstützt.
Damit werden die Ausfälle nahezu aller Versicherten kompensiert. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat jedoch errechnet, dass dieses Ausgleichsmodell teurer ist als jenes des Ständerats: Im Jahr 2030 sollen sich die Kosten auf 4,45 Milliarden Franken belaufen, während es in der Version des Ständerats 2,25 Milliarden Franken wären.
Regine Sauter (FDP/ZH) bezeichnete die Berechnungen als unvollständig und damit als falsch. Bundesrat Berset gestand ein, dass man noch weiter rechnen müsse. Das Modell dürfte ohnehin nicht der Weisheit letzter Schluss sein, sondern eine Basis für die Ausmarchung mit dem Ständerat. Die SVP hatte schon angekündigt, dem Ausgleich nur aus taktischen Gründen zuzustimmen.
Viele Differenzen
Die Räte haben ohnehin noch einiges zu klären. So hat der Nationalrat eine zweistufige Schuldenbremse für die AHV beschlossen. Sobald der Ausgleichsfonds unter 100 Prozent einer Jahresausgabe zu sinken droht, muss der Bundesrat dem Parlament Korrekturmassnahmen vorschlagen. Fällt der Fonds-Stand trotzdem unter 80 Prozent, wird das Rentenalter automatisch in mehreren Schritten auf 67 Jahre erhöht. Parallel dazu wird die Mehrwertsteuer um 0,4 Prozent angehoben.
FDP-Sprecher Bruno Pezzatti (ZG) sprach von einem «Notnagel», um die Renten langfristig zu sichern. Die Vertreter von CVP, SP, Grünen und BDP sahen darin aber eher einen Sargnagel für die Vorlage. Die automatische Erhöhung des Rentenalters lasse sich dem Volk nicht verkaufen, warnten sie.
Aufgrund der Beschlüsse des Nationalrats scheint die Aktivierung der Schuldenbremse unvermeidlich. Während der Ständerat die Mehrwertsteuer für die AHV um 1 Prozent erhöhen will, sprach sich die grosse Kammer nur für 0,6 Prozent aus. Der AHV entgehen dadurch jährlich 1,4 Milliarden Franken. Nach Berechnungen der Verwaltung würden der AHV 2033 unter das Niveau fallen, ab welchem das Rentenalter erhöht werden muss.
Witwenrenten gekürzt
Berset warf dem Nationalrat vor, bewusst eine Unterfinanzierung in Kauf zu nehmen. Das werde die Debatte über die Reform der Altersvorsorge belasten. Die grosse Kammer traute offenbar dem eigenen Mut nicht und lagerte die so genannte Stabilisierungsregel in eine separate Vorlage aus. Diese könne in der Schlussabstimmung durchaus noch scheitern.
Umstritten waren auch die Eingriffe bei den Witwenrenten. Der Ständerat hatte darauf verzichtet, um die Reform in einer Volksabstimmung nicht zu belasten. Der Nationalrat strich die Witwenrenten jedoch zusammen. Für Kinder von Eltern im AHV-Alter will er künftig gar keine Renten mehr zahlen.
Darüber hinaus beschloss der Nationalrat, den Bundesbeitrag an die AHV von 19,55 Prozent auf 20 Prozent zu erhöhen. Das sind rund 270 Millionen Franken mehr als heute. Weitgehend unbestritten war die Flexibilisierung des Rentenalters. 65 gilt künftig als Referenzalter. Die Rente kann in der Regel zwischen 62 und 70 bezogen werden.
Noch nicht entschieden hat der Nationalrat über die AHV-Beiträge der Selbständigerwerbenden. Er beendet die Beratung der Vorlage am Donnerstagvormittag.