Präventiv alle Moscheen und Imame in der Schweiz zu überwachen, dafür gibt es weder Grund noch Gesetz – auch mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz nicht. Dies stellte Nachrichtendienstchef Markus Seiler in einem seiner raren Interviews klar.
«Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die es dem NDB erlauben würde Moscheen und Imame in der Schweiz generell zu beobachten», sagte der Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) im am Montag in der «Aargauer Zeitung» veröffentlichten Interview. «Moscheen, ihre Imame und ihre Trägervereine an sich sind selten das Problem.»
Die Bedrohung komme «meistens aus dem Umfeld». Lägen konkrete Hinweise auf eine mögliche Bedrohung vor, könne der NDB aber präventiv tätig werden.
Winterthur kein Einzelfall
Seiler warnte davor, die Vorgänge rund um die An’Nur-Moschee in Winterthur als Einzelfall zu betrachten: «Solche verdichteten Netzwerke wie in Winterthur gibt es in allen Landesteilen der Schweiz.» Weitere Einzelheiten nannte Seiler allerdings keine.
Die Justiz hatte am vergangenen Mittwoch in der umstrittenen Moschee in Winterthur-Hegi eine Razzia durchgeführt, nachdem der dortige Imam in einer Predigt zu Mord aufgerufen haben soll. Der Imam sowie ein Vorstandsmitglied des Vereins wurden darauf in Untersuchungshaft genommen.
Die Moschee war in den vergangenen Jahren in Zusammenhang mit radikalisierten Jugendlichen und Dschihad-Reisenden immer wieder ins Blickfeld von Behörden und Medien geraten.
NDB-Chef Seiler sagte im Interview, der Nachrichtendienst habe «Kenntnis von den Ereignissen» rund um die Razzia um die An’Nur-Moschee gehabt. Ob und oder welche Rolle der NDB dabei spielte, dazu wollte Seiler keine Angaben machen.
Auslöser der meisten Terror-Ermittlungen
Der NDB-Direktor zeigte aber anhand eines älteren Falls – der IS-Zelle von Schaffhausen – auf, wie die Zusammenarbeit zwischen Geheimdienst und Justiz in etwa abläuft.
«Der Originalhinweis kam von extern, wir haben diesen geprüft und verdichtet. Als wir konkrete Hinweise hatten, gingen wir zur Bundesanwaltschaft.» Bundesanwaltschaft (BA) und das Bundeskriminalamt ermittelten weiter und brachten den Fall vor das Bundesstrafgericht.
Das Gericht verurteilte im März drei der vier angeklagten Iraker zu Freiheitsstrafen wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation. Einer davon zog das Urteil ans Bundesgericht weiter.
Gemäss Seiler wurden von den rund 60 Fällen, die bei der Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit Terrorismus, Al-Kaida oder IS-Verbot laufen, «der grösste Teil» vom NDB «ausgelöst oder mitausgelöst».
Keine Gesinnungsschnüffelei
Das neue Nachrichtendienstgesetz tritt am 1. September 2017 in Kraft. «Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz ist es möglich, dass eine Person überwacht wird, ohne dass sie es weiss», sagte Seiler.
Doch dies sei nur dann möglich, wenn der Fall «etwas mit Terror, Spionage oder Massenvernichtungsmitteln» zu tun habe. «In allen anderen Fällen nicht.»
Der NDB werde auch mit dem neuen Gesetz keine «Massenüberwachung betreiben». Die Schweiz mache zudem «zu Recht einen Unterschied zwischen Gewaltextremismus und Politextremismus».
«Mit der Erfahrung der Fichen-Affäre will niemand, dass der Nachrichtendienst Gesinnungsschnüffelei betreibt. Was jemand denkt, ist nicht strafbar. Relevant ist, was jemand macht. Für uns ist beim Extremismus der Gewaltbezug ausschlaggebend».