Im VW-Abgasskandal rückt der frühere VW-Chef Martin Winterkorn zunehmend ins Visier der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Gegen ihn wird nun auch wegen des Anfangsverdachts des Betruges ermittelt.
Es hätten sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Winterkorn früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis von der manipulierenden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte, teilte die Behörde am Freitag mit. Winterkorn war im September 2015 kurz nach Bekanntwerden des Skandals von der VW-Spitze zurückgetreten. Er sei sich aber keines Fehlverhaltens bewusst, hatte er damals gesagt.
Winterkorn bleibt laut Mitteilung seiner Anwälte bei der Darstellung, bis zum September 2015 von illegalen Abgas-Manipulationen nichts gewusst zu haben. VW betonte, sich nicht zu Einzelheiten in dem laufenden Verfahren äussern zu wollen. Der Konzern kooperiere in vollem Umfang mit den Behörden.
Häuser durchsucht
Im Zuge der Ausweitung der Ermittlungen gab es auch Razzien. In dieser Woche seien insgesamt 28 Objekte mit Schwerpunkt im Bereich Wolfsburg, Gifhorn und Braunschweig durchsucht worden, hiess es. Die Aktionen richteten sich nach dpa-Informationen unter anderem auch gegen Softwarespezialisten der VW-Beteiligung IAV.
Anhaltspunkte für den neuen Verdacht seien die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, insbesondere Erkenntnisse aus Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten sowie aus der Auswertung beschlagnahmter Dateien, hiess es von den Ermittlern. Bisher hatte die Staatsanwaltschaft gegen Winterkorn nur wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt, weil VW die Finanzmärkte möglicherweise zu spät über die milliardenschweren Risiken des Skandals informiert haben könnte.
In diesem Zusammenhang ermitteln die Behörden auch gegen den damaligen Finanzchef und heutigen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sowie nach dpa-Informationen gegen den VW-Markenchef Herbert Diess.
Steilpass für Kritiker und Kläger
Die neuen Anschuldigungen sind Wasser auf die Mühlen von Kritikern des Ex-Konzernchefs – und spielen mitunter auch Klägern in die Hände. VW-Anleger fordern Entschädigungen in Milliardenhöhe, weil unter anderem die Aktie nach dem Bekanntwerden des Skandals im September 2015 deutlich an Wert verloren hatte.
Laut Staatsanwaltschaft Braunschweig steht der Zeitpunkt für die neuen Ermittlungen nicht direkt in Verbindung mit zuletzt erhobenen Anklagen in den USA. Unter anderem hätten Zeugenaussagen die Verdachtsmomente bei den deutschen Ermittlungen erhärtet. «Sie können davon ausgehen, dass die Quellen der Erkenntnis auf beiden Seiten des Atlantiks sprudeln», sagte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe.
Wann die Ermittlungen abgeschlossen sein werden, konnte er noch nicht sagen. Das Ermittlungsverfahren wird nun jedoch noch einmal umfangreicher.
Weitere Beschuldigte
Die Staatsanwaltschaft weitete ihre Untersuchungen gegen verantwortliche Mitarbeiter von Volkswagen wegen der Manipulation von Abgaswerten bei Diesel-Fahrzeugen aus. Die Zahl der Beschuldigten für diese Tat stieg von bisher 21 auf 37 Personen. Daneben wird nach früheren Angaben auch gegen sechs Personen wegen falscher CO2-Verbrauchsangaben sowie gegen eine wegen Datenvernichtung ermittelt.
Vor einer Woche hatte Winterkorn erneut abgestritten, bis zum Bekanntwerden des Diesel-Skandals von illegalen Abgas-Manipulationen bei dem Autobauer gewusst haben. «Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden bin», sagte er vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags in Berlin.
Die Affäre um manipulierte Abgastests bei Dieselfahrzeugen hatte VW in die schwerste Krise seiner Geschichte gestürzt. Der Skandal war von der amerikanische Umweltbehörde EPA öffentlich gemacht worden. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass die Aufarbeitung des Dieselskandals den Konzern allein in den USA rund 20 Milliarden Dollar kosten wird.