Acht Jahre nach dem Startschuss liegen die ersten Bände der historisch-kritischen Gesamtausgabe des Werks von Jeremias Gotthelf vor. Sie widmen sich dem eher unbekannten Gotthelf, dem Predigtschreiber, Journalisten und Kalender-Schriftsteller.
Zu Tage tritt ein sozial engagierter, streitbarer Mensch jenseits der heimeligen Klischees, mit denen der wortgewaltige Emmentaler Pfarrer und Schriftsteller heute allzu oft behaftet ist.
Klischees, die weniger auf der Originallektüre basieren als vielmehr auf der Rezeptionsgeschichte Ende des 19. Jahrhunderts sowie auf Filmen und Hörspielen. Das sagte Barbara Mahlmann-Bauer, Professorin für neuere deutsche Literatur an der Universität Bern, in einem Interview mit der Zeitung „Der Bund“ vom vergangenen Samstag.
Die historisch-kritische Gesamtausgabe beleuchtet die Texte in ihrem historischen Umfeld und bietet einen Zugang zur Geschichte und Mentalität der Regenerationszeit in den 1830-er Jahren, einer wichtigen Epoche der Berner und Schweizer Geschichte.
Unter Verschluss
Die Idee zu einer neuen Gesamtausgabe kam 2004 ins Rollen. Ein Germanistenteam der Universität Bern rund um Barbara Mahlmann-Bauer und Christian von Zimmermann arbeitet an dem Grossprojekt, das vorderhand auf 67 Bände angelegt ist.
Doch auch diese Gesamtausgabe dürfte womöglich keinen ganz vollständigen Einblick in Gotthelfs Werk geben, denn ein Teil des Nachlasses hält ein Nachfahre Gotthelfs nach wie vor unter Verschluss. Schon lange wird deshalb spekuliert, die Dokumente könnten allerlei Pikantes aus Gotthelfs Leben zu Tage fördern.
Die Berner Forscher vermuten indessen, dass es sich bei dem unter Verschluss gehaltenen Nachlassteil um Predigten, Fragmente sowie um die Brautbriefe von Gotthelf handelt. Darüber hinaus könnten sich darunter auch ein Manuskript eines unbekannten Erzähltexts sowie Werke aus der persönlichen Bibliothek Gotthelfs befinden.
Klassiker der Schweizer Literatur
Jeremias Gotthelf, der mit bürgerlichem Namen Albert Bitzius hiess, kam 1797 in Murten als Sohn eines reformierten Pfarrers zur Welt. Nach Theologiestudium und Vikariat kam Bitzius als Pfarrer nach Lützelflüh, wo er bis zu seinem Tod 1854 wirkte.
Ab Mitte der 1830-er Jahre wirkte Gotthelf auch als Schriftsteller. Sein erster Roman war „Der Bauernspiegel“. Es folgten weitere Werke wie „Uli der Knecht“, „Uli der Pächter“, „Die schwarze Spinne“, „Geld und Geist“ oder „die Käserei in der Vehfreude“.
In den 1950-er Jahren wurden verschiedene Gotthelf-Werke unter der Regie von Franz Schnyder verfilmt. Gassenfeger waren zu ihrer Zeit auch die Gotthelf-Radiohörspiele von Ernst Balzli.
Am Dienstagabend werden die ersten acht Bände der historisch-kritischen Gesamtausgabe an einer feierlichen Vernissage in der Berner Heiliggeistkirche vorgestellt.