Die Ansteckung des unwissenden Sex-Partners mit dem HI-Virus könnte in Zukunft möglicherweise nur noch als einfache Körperverletzung bestraft werden. Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung revidiert, die zentrale Frage aber vorerst noch offen gelassen.
Nach bisheriger Praxis des Bundesgerichts lag eine schwere Körperverletzung vor, wenn eine Person im Wissen um die eigene HIV-Infektion ihren nichts ahnenden Sexualpartner ansteckte. Gemäss Gericht brachte der Täter sein Opfer damit in Lebensgefahr, weil die Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod führe.
Laut den Richtern in Lausanne kann an dieser Auffassung aufgrund der heutigen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten und der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr festgehalten werden.
Keine Lebensgefahr mehr
Mit den modernen Kombinationstherapien könnten HIV-Infizierte bei früher Diagnose und guter Behandlung heute fast so lange leben wie gesunde Personen. Damit entfalle bei einer Ansteckung mit dem HI-Virus das Kriterium der Lebensgefahr.
Das Umdenken des Bundesgerichts bedeutet allerdings nicht, dass in solchen Fällen ab sofort regelmässig nur noch eine einfache Körperverletzung vorliegen würde. Gemäss Gericht kann eine andere Form von schwerer Körperverletzung erfüllt sein, bestehend in einer «schweren Gefährdung der körperlichen oder geistigen Gesundheit».
Zu berücksichtigen ist dabei laut Gericht, dass eine HIV-Infektion nach wie vor unheilbar ist und die Therapie selber zu körperlichen oder seelischen Nebenwirkungen mit einer Beeinträchtigung der Lebensqualität führen kann. Allein das Wissen um eine HIV-Infektion könne eine Erschütterung des seelischen Gleichgewichts bewirken.
Zürcher Obergericht muss entscheiden
Letztlich hat das Bundesgericht aber (noch) offengelassen, wie eine HIV-Infektion in Zukunft rechtlich zu behandeln ist. Es hat den konkreten Fall ans Zürcher Obergericht zurückgeschickt. Dieses wird bei seinem Neuentscheid urteilen müssen, ob in solchen Fällen nun eine einfache oder eine schwere Körperverletzung vorliegt.
Entscheiden müssen die Richter in Zürich zudem, ob und inwiefern die möglichen psychischen Belastungen des Opfers und die allenfalls negativen Auswirkungen der Therapie dem Täter zugerechnet werden können. Erst anschliessend wird dann das Bundesgericht bei einer allfälligen Beschwerde sein letztinstanzliches Machtwort sprechen. (Urteil 6B_337/2012 vom 19. März 2013; BGE-Publikation)