Knapp eineinhalb Wochen vor Beginn der Fussball-EM in Frankreich hat ein unbefristeter Bahnstreik für grosse Behinderungen im Schienenverkehr gesorgt. Im Streit um die Arbeitsmarktreform bleiben die Fronten zwischen Gewerkschaft und der Regierung weiter verhärtet.
Die Hälfte aller Züge blieb in den Depots, wie die staatliche Betreibergesellschaft SNCF am Mittwoch mitteilte. So waren etwa auch viele Pendlerzüge im Grossraum Paris vom Bahnstreik betroffen. Die wenigen Züge, die fuhren, waren häufig brechend voll. «Das ist eine Plackerei heute, mehr als an den anderen Streiktagen», sagte eine SNCF-Mitarbeiterin.
Der internationale Bahnverkehr war hingegen nur teilweise betroffen: Bei TGV- und ICE-Verbindungen nach Deutschland und bei den Eurostar-Zügen nach Grossbritannien gab es keine Behinderungen. Dagegen wurden viele Züge nach Belgien, Italien, Spanien und in die Schweiz gestrichen.
Es war bereits der achte Streiktag bei der SNCF seit Anfang März. Erstmals ist die Arbeitsniederlegung aber unbefristet – die Streiks können also von Tag zu Tag verlängert werden. Am Mittwoch streikten laut der Bahngesellschaft 17 Prozent der Mitarbeiter.
Mit den Streiks wollen die Gewerkschaften Druck bei Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen im Bahnsektor allgemein und über Arbeitszeiten bei der SNCF ausüben. Hinzu kommt der Protest gegen eine von Staatschef François Hollande angestrebte Lockerung des Arbeitsrechts, gegen welche die Gewerkschaften schon seit rund drei Monaten mobil machen.
Streiks gehen weiter
«Diese Woche wird die Woche mit der stärksten Mobilisierung», warnte der Chef der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, der die Proteste gegen die Arbeitsmarktreform anführt.
Die CGT hatte mit Streiks und Blockaden von Treibstofflagern und Ölraffinerien in der vergangenen Woche für Benzin- und Dieselknappheit gesorgt. Die Lage hat sich inzwischen zwar wieder entspannt, nach wie vor sind aber sechs der acht französischen Raffinerien von den Protesten betroffen.
Am Donnerstag stehen erneute Streiks auch im Energiesektor an – schon vergangene Woche hatten die Gewerkschaften die Stromproduktion in einer Reihe von Atomkraftwerken gedrosselt. Gestreikt werden soll am Donnerstag auch bei den Pariser Nahverkehrsbetrieben RATP. Die Auswirkungen auf Metros und Busse dürften aber begrenzt bleiben.
Einen dreitägigen Streik könnte es ab Freitag dann auch bei den Fluglotsen geben. Die Gewerkschaften wollen damit gegen Stellenstreichungen bei der zivilen Luftfahrtbehörde protestieren, derzeit wird aber noch verhandelt. Ausserdem drohen in diesem Monat Pilotenstreiks bei der Fluggesellschaft Air France aus Protest gegen Lohnkürzungen.
Sorge wegen Fussball-EM
Die Streiks und Protestaktionen lassen die Sorgen mit Blick auf die am 10. Juni startende Fussball-Europameisterschaft in Frankreich wachsen. Das Land erwartet zur EM rund zwei Millionen Fussballfans.
Ein neuer Protesttag gegen Hollandes Pläne zur Lockerung der 35-Stunden-Woche und des Kündigungsschutzes ist am 14. Juni geplant, mitten während der EM.
Die Fronten in dem Konflikt bleiben verhärtet, auch wenn sich in den vergangenen Tagen ein möglicher Dialog zwischen der Regierung und der CGT angedeutet hatte. «Die Regierung sagt: ‚Der Dialog ist möglich, unsere Tür ist offen’», sagte CGT-Chef Martinez am Donnerstag. «Die Wahrheit ist: Die Tür ist offen, aber wir können nicht rein.» Die Regierung will die Arbeitsmarktreform nicht zurückziehen und hält an den wichtigsten Punkten fest.
Neben den Streiks bereitet den französischen Behörden die Anschlagsgefahr während der Fussball-EM Kopfzerbrechen. So sagte Hollande am Mittwoch in einem Interview mit der Regionalzeitung «Sud Ouest», die wahre Bedrohung für die EM sei «der Terrorismus».
Auch Streik in Belgien
Auch in Belgien wird seit Montagabend im Zugverkehr gestreikt. Vor allem die Wallonie war davon betroffen. Der Streik richtet sich gegen die Sparpolitik der belgischen Mitte-Rechts-Regierung unter Premierminister Charles Michel.
Im internationalen Verkehr fuhren die Thalys-Schnellzüge zwischen Deutschland und Brüssel wieder. Bei ICE-Verbindungen mussten Passagiere aber mit Störungen rechnen.
Im belgischen Inlandsverkehr fiel zudem in der Region Wallonie im Süden des Landes am Morgen der Grossteil der Züge aus, wie der Sender RTBF berichtete. Im Laufe des Tages verbesserte sich die Situation jedoch etwas. Im Norden war die Lage entspannter. So fuhren in Flandern zwischen 80 und 90 Prozent der Züge.