Deutschland hat seit Dienstag ein neues Parlament. Einen Monat nach den Wahlen konstituierte sich in Berlin der Bundestag. Bis eine neue Regierung steht, kann es aber Weihnachten werden. An diesem Mittwoch beginnen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD.
Bundestagspräsident Norbert Lammert wurde mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt. Das Präsidium des Parlaments wurde gegen den Protest der kleinen Parteien vergrössert.
In seiner Eröffnungsrede hob Lammert Arbeit und Bedeutung derdeutschen Volksvertretung hervor. Es gebe kein anderes Parlament in Europa, das auf die europäische Entwicklung so grossen Einfluss habe wie der deutsche Bundestag, sagt er. Es seien auch niemals zuvor in einem deutschen Parlament so viele Abgeordnete mit einem Einwanderungshintergrund vertreten gewesen wie im 18. Bundestag.
Lammert hatte bei seiner Wiederwahl 591 Ja-Stimmen bei 26 Gegenstimmen und 9 Enthaltungen erhalten. Es ist für den 64-Jährigen CDU-Politiker in seiner dritten Amtszeit sein bisher bestes Ergebnis. Bundestagspräsident ist protokollarisch das zweithöchste Amt im deutschen Staat. Es wird von der grössten Fraktion besetzt.
Der neue Bundestag hat 631 Abgeordnete und nach dem Ausscheiden der Liberalen (FDP) nur noch vier Fraktionen: CDU/CSU (311 Sitze), SPD (193), Linke (64) und Grüne (63).
Erweiterung des Bundestags-Präsidiums
Gegen den Widerstand von Linken und Grünen beschlossen Christ- und Sozialdemokraten, die Zahl der stellvertretenden Parlamentspräsidenten auf sechs zu erhöhen. In der vergangenen Legislaturperiode hatte jede Fraktion einen Vize gestellt, nun bekamen CDU/CSU und SPD je zwei, die Grünen und Linken je einen Vizepräsidentenposten.
Gewählt wurden der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer, der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze sowie für die SPD die früheren Bundesministerinnen Ulla Schmidt und Edelgard Bulmahn. Für die Grünen rückt die frühere Parteichefin Claudia Roth ins Präsidium auf, für die Linke wurde Petra Pau als Vizepräsidentin wiedergewählt.
Eine neue deutsche Regierung gibt es noch nicht. Am Dienstagnachmittag sollten Kanzlerin Angela Merkel und die Minister der christlich-liberalen Koalition von Bundespräsident Joachim Gauck die Entlassungsurkunden erhalten. Die Regierung bleibt aber geschäftsführend im Amt.
Regierungsbildung verzögert sich
Die Regierungsbildung zieht sich in die Länge, weil Merkels Christdemokraten nach dem Verlust ihres Koalitionspartners FDP ein Bündnis mit einem ihrer bisherigen politischen Gegner bilden müssen. Nach mehreren Sondierungsrunden entschieden die Führungen von CDU/CSU und SPD erst am vergangenen Donnerstag, Verhandlungen über eine grosse Koalition aufzunehmen.
Weil über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen auch die SPD-Mitglieder abstimmen müssen, wird mit der Kanzlerwahl im Bundestag nicht vor Mitte Dezember gerechnet. Die Koalitionsverhandlungen beginnen am Mittwoch. Die Verhandlungspartner wollen zwölf Arbeitsgruppen bilden.
Mini-Opposition reklamiert Rechte
Lammert setzte sich am Dienstag für die Wahrung der Oppositionsrechte für den Fall einer grossen Koalition ein. Dann müsse geklärt werden, ob die Geschäftsordnung des Bundestags und gesetzliche Regelungen zur Gewährleistung der Minderheitenrechte angepasst werden müssten, sagte er.
Bei einer grossen Koalition hätte die Opposition aus Linken und Grünen nur 20 Prozent der Stimmen im Bundestag. Das reicht nicht aus, um etwa Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Dafür ist ein Viertel der Stimmen notwendig.
Linken-Chef Gregor Gysi forderte eine Änderung des Grundgesetzes – der deutschen Verfassung. Eine solche Änderung sei erfoderlich, damit die Opposition auch künftig eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengen kann, sagte er im Deutschlandfunk. Die Grünen bekräftigten ihre Forderung nach einer Neuregelung bei den Redezeiten.