Sind Handystrahlen gesundheitsschädlich? Im Parlament wird darüber gestritten, ob die Grenzwerte noch zeitgemäss sind. Strahlen-Gegner warnen vor den Folgen eines neuen Bundesgesetzes
Beim Stichwort «Verschwörungstheorie» reagiert Peter Schlegel vom Dachverband Elektrosmog ungehalten. Es ist ein Vorwurf, den er öfters zu hören kriegt – und das nervt ihn. Denn für ihn steht fest: Handystrahlen schaden der Gesundheit.
Demnächst entscheidet der Nationalrat über ein neues Gesetz zum Schutz vor Gefährdungen durch nichtionisierende Strahlung und Schall – kurz Nissg. Das Gesetz befasst sich in erster Linie mit Laserpointern, der Dachverband Elektrosmog meint aber, das Gesetz öffne «Schleusen für zukünftige Funkanwendungen».
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) antwortet darauf lediglich, die Handystrahlen seien zwar im Geltungsbereich des Gesetzes enthalten, «im Fokus stehen aber vor allem Regelungen im Bereich Solarien, Laserpointer und kosmetische Anwendungen».
Gesundheitsschutz auch ohne wissenschaftliche Beweise
Es begann mit den Laserpointern. Sogenannte Laserpointer-Attacken sollten verhindert werden. Und die Wirkung von Laserpointern fällt unter «nichtionisierende Strahlung» – genau wie die Handystrahlen.
Im neuen Gesetz steht, dass die «Gesundheit des Menschen nicht oder nur geringfügig gefährdet» werden darf. Der Nationalrätin Yvonne Gilli (Grüne) ist das ebenfalls ein Dorn im Auge. Sie sieht darin «eine Gefahr für die Weiterführung des Vorsorge-Gedankens».
Das Vorsorgeprinzip schützt die Bevölkerung vor Umwelteinflüssen, «auch wenn keine schlüssigen wissenschaftlichen Beweise vorliegen». Es sorgt dafür, dass bereits beim Verdacht einer Gesundheitsgefährdung Vorkehrungen getroffen werden.
Handy produziert Wärme
Der Verein Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz ist «sehr besorgt», dass die Strahlung von Handys und anderen Geräten «trotz den aktuell geltenden Gefährdungsgrenzwerten die Gesundheit unserer Bevölkerung mittel- und langfristig angreift». Der Verein, dem auch Nationalrätin Gilli angehört, setzt sich ein bei Themen wie Gentechnik, Atomstrom oder auch gegen den Bau einer zweiten Gotthardröhre. Ein Anliegen sind auch tiefere Immissionswerte für Handyantennen.
Es sind die «nicht-thermischen» Auswirkungen, die Yvonne Gilli Sorgen machen. Was heisst das? Wenn ein Handy strahlt, produziert es Wärme. In der Regel werden nur diese «thermischen» Auswirkungen im Hochfrequenzbereich gemessen. Peter Schlegel fordert im Hinblick auf nicht-thermische Effekte: «Politiker müssen endlich auch neue wissenschaftliche Studien zur Kenntnis nehmen.» Und diese Studien gibt es.
Eine Studie, gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds, sieht Hinweise auf gesundheitsgefährdende Wirkungen von Handystrahlen – auch im nicht-thermischen Bereich. «Aber noch ist nicht klar, ob die nachgewiesenen Effekte im Gehirn und in den Zellen für die Gesundheit eines Lebewesens von Bedeutung sind», schlussfolgern die Forscher.
Ohne Smartphone geht nichts mehr
Mittlerweile gibt es sogar politische Vorstösse, die die Grenzwerte der nichtionisierenden Strahlen nach oben korrigieren wollen. Zum einen von Ruedi Noser und zum anderen von Christian Wasserfallen (beide FDP). Darin geht es um «zukunftstaugliche Mobilfunknetze». Sprich: Weil es immer neue Technologien gibt, braucht es auch leistungsfähigere Antennen, die auch stärker strahlen.
Der Verein Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz meint, dass das Vorsorgeprinzip im Umweltschutzgesetz durch den «Smartphone-Boom vollends in Vergessenheit geraten ist» und fordert deshalb eine «ausgewogene Situationsanalyse».
Eine Studie der Universitäten Basel und Bern zeigte bereits vor fünf Jahren, wie sich die Strahlenbelastung in der Schweiz entwickelt. Das Ergebnis der Studie ist eindeutig: Ein Hauptteil der Strahlen geht von uns selbst aus. Wer sich effektiv schützen will, muss also auf das eigene Handy, Schnurlostelefon und WLAN verzichten.
Das ist für viele undenkbar – ohne Smartphone geht nichts mehr. Der Streit um Gesundheitsgefahren und Nutzen der neuen Technik ist noch lange nicht zu Ende – für hitzige Debatten ist weiterhin gesorgt.
(Radio-Beitrag von Patrik Tschudin zu elektromagnetischen Feldern und Gesundheitsrisiken: 27.10.2012)