Nichtrauchen stinkt

Die immer striktere Nichtraucher-Politik in den USA zielt nicht auf Regulierung, sondern auf Werteveränderung. Beim Raucher Sennhauser hat das bestens funktioniert. Er würde als Raucher niemals mehr ein Raucherlokal frequentieren. Rauchen ist eine Open-Air-Tätigkeit: Sennhauser im Tal des Todes (Kalifornien). (Bild: Peter Sennhauser) Im Jahr 2000 stand ich auf der Schwelle einer Jazzbar in San […]

Rauchen ist eine Open-Air-Tätigkeit: Sennhauser im Tal des Todes (Kalifornien).

Die immer striktere Nichtraucher-Politik in den USA zielt nicht auf Regulierung, sondern auf Werteveränderung. Beim Raucher Sennhauser hat das bestens funktioniert. Er würde als Raucher niemals mehr ein Raucherlokal frequentieren.

Rauchen ist eine Open-Air-Tätigkeit: Sennhauser im Tal des Todes (Kalifornien).

Rauchen ist eine Open-Air-Tätigkeit: Sennhauser im Tal des Todes (Kalifornien). (Bild: Peter Sennhauser)

Im Jahr 2000 stand ich auf der Schwelle einer Jazzbar in San Francisco. Die Hand mit der Zigarette streckte ich nach draussen, die mit dem Bier nach drinnen. Denn in Kalifornien ist der Konsum von Tabak im geschlossenen, der von Alkohol im öffentlichen Raum verboten. Die spinnen, die Amis, dachte ich.

Und schwor, dem “Terror” nicht zu erliegen.

Das habe ich geschafft. Ich bin Raucher. Immer noch. Nach sieben Jahren in San Francisco, der Stadt, die bei Touristen für ihre Weltoffenheit und bei Insidern für eine beinahe so grassierende Regulierungswut wie das ausgeflippte Berkeley bekannt ist. Wo es seit kurzem bei Strafandrohung verboten ist, sich aufs Trottoir zu setzen oder gar zu legen. Wo Raucher mindestens sechs Fuss Abstand von Fenstern und Türen einhalten und damit in die Fahrspur der Busse stehen müssten. Wo man Zigaretten im Liquor Store trotz Glatzentendenz nur gegen Vorweisen eines Ausweises kaufen kann und wo über ein generelles Rauchverbot in (privaten) Autos zum Schutz der Kinder diskutiert wird.

Ich bin Raucher, aber ein ganz anderer als noch vor sieben Jahren. Ich staune hierzulande über Bahnhöfe, Badeanstalten und sogar Gartenrestaurants, in denen gequalmt wird. Über Fümoirs, denen ich mit Unterschrift und Jahresbeitrag beitreten soll und über die Ernsthaftigkeit, mit der man in dieser Stadt über den Rückbau eines im Vergleich moderaten Rauchverbots nicht nur diskutiert, sondern sogar abstimmt.

Meine Verwunderung ist das Resultat einer verschobenen Wahrnehmung – aber einer, die ich durchaus begrüsse. Es ist nicht normal, zu rauchen. Es ist normal, es nicht zu tun. Unter dieser Optik habe ich Mühe, den Widerstand gegen eine Regel zu verstehen, die lediglich den neuesten Erkenntnis- zum Normalzustand erhebt.

Und ich habe zwei Theorien.  

a) Eigentlich ist das Problem ein olfaktorisches. Wir hassen Nichtraucherbars, -Züge und Warteräume nicht, weil wir nicht mehr darin rauchen dürfen. Wir hassen sie, weil sie stinken.

Das taten sie zwar auch früher, als jeder noch überall hemmungslos gepafft, als Hollywood jedem Helden einen Glimmstengel in die Finger gesteckt und man im Ziiiischtigs-Club die Gesprächsteilnehmer inmitten grauer Schwaden kaum erkannt hat.
Aber der Gestank war einheitlich: Abgestandener  Zigarren- und Zigrettenrauch insinuierte Gemütlichkeit – wenn auch nur jener Leute, welche die Örtlichkeiten vor uns genutzt hatten. 

Jetzt, im Zeitalter des Nichtrauchens, stinken diese Lokalitäten nach anderem, grundlegenderem. Nach abgestandenem Bier. Faulendem Gemüse. Nach altem Fritieröl und frischem Achselschweiss. Und schlimmerem.

Das ist ernüchternd, flächendeckend und wie das Aufwachen aus einem kollektiven Drogenrausch: Die Welt riecht. Aber Geruch ist Kommunikation. Wir haben sie mit Parfüm, Rauch und Aberzombie & Bitch ausser Kraft gesetzt.

Heute erkenne ich ein schlechtes Hotel ebenso wieder am Geruch wie eine schlechte Gegend oder eine langweilige Party. Ich kann meine gewaschenen wieder von den dreckigen T-Shirts unterscheiden. Das ist ein Gewinn, kein Verlust.

b) Die Verbote im Land der Freien, so abstrus sie auf den ersten Blick scheinen, haben ein gesamtheitliches Umdenken bewirkt. Längst blicke ich mich um, bevor ich an öffentlichen Plätzen eine anstecke. Ich rauche nicht mehr in geschlossenen Räumen. Ich gehe ein paar Schritte zum Paffen, und ich amüsiere mich über das Aufheben, das um ein Rauchertischchen beim Schmalen Wurf gemacht wird – allerdings aus genau diametral anderen Gründen als jeder um mich herum.

Rauchen ist ungesund und schädlich. Es ist der Ausnahme- und nicht der Normalzustand. Ich habe mir diese Botschaft völlig einverleibt. Das ist den Menschen hier ungeheuer.

Gesetze sollen regulieren, nicht Werte verändern? In den USA tun sie exakt letzteres, jedenfalls nach der ultimativen Herausforderung durch eine Klage vor Bundesgericht (in der Regel unter Berufung auf die Garantie der absoluten Meinungsfreiheit): Sie werden zum Massstab des “Gesunden Menschenverstandes”, den wir den Amis so gerne absprechen. In der multikulturellen Willensnation nehmen sie als kleinster gemeinsamer Nenner den Platz der Moral ein.

«It’s the law» meint nicht, Du wirst gleich gebüsst – es bedeutet, Du benimmst Dich gegen die Interessen der Gesellschaft. Viele Gesetze werden deswegen auch gar nicht als Einschränkung, sondern als Garantie der Freiheit des einzelnen gesehen.

Ich kann mich dieser Betrachtung nur mehr schwer entziehen. Die Rede vom mündigen Bürger erscheint mir als Ausrede, um wieder stinkende Lokale zu schaffen, vor deren Türen ich mich – gerade als Raucher – jedesmal, wenn ich sie nicht betreten will, vor meinen Freunden rechtfertigen muss.

Die «Freiheit», nicht eingeschränkt zu werden, macht Platz für den Zwang. Den Gruppenzwang. Liebe Freunde: Ihr werdet mich, den Raucher, niemals in ein Raucherlokal kriegen.

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