Kaum ein anderes Brettspiel hat uns in den letzten zwei Jahrzehnten mehr zur Weissglut gebracht als «Die Siedler von Catan». Eine hassliebende Huldigung zum 20. Geburtstag.
Ordentliches Wohnzimmer im Vorort. Parkett, Eichenholz-Buffet, Silberbesteck. Ein schmuckes Bild. Wenn nur nicht dieses Geschrei wäre.
«Ich wünsche dir Lepra, du Scheissnazi!» – «Beruhige dich, ich habe deine Freundin nur gefragt, ob sie mir ein Lehm hat!» – «Das tut nichts zur Sache! Immer ziehst du diese Scheissnummer ab mit dem ‹Ich gebe dir zwei Schafe für ein Lehm, das bringt dir u huere viel›, und dann nimmst du alle aus und baust dir deine widerlichen Städte!»
Jeder, der einen einigermassen gut ausgestatteten Spieleschrank zu Hause hat, kennt diese Situation: Man sitzt mit ein paar Freunden im Wohnzimmer und hats lustig. Irgendwann kommt jemand auf die Idee, das Spiel zu spielen. Man begibt sich zum Schrank, man holt es heraus. Das Spiel. Es lacht einen an. Es sieht freundlich aus, freundlich rot, mit einer aufgehenden Sonne auf dem Cover. Schön.
Bis man anfängt zu spielen.
Tränen, Geschrei und Bisswunden
Auf den ersten Blick ist «Die Siedler von Catan» ein fantastisches Spiel. Die Regeln sind simpel, das Konzept griffig: Verschiedene Felder mit den Rohstoffen Lehm, Getreide, Erz, Holz und Schaf (richtig: Schaf) werden mit Zahlen versehen, die die Spieler würfeln können, um an die Rohstoffe zu kommen, mit denen sie Dörfer und Städte kaufen können, um wiederum zu mehr Rohstoffen zu gelangen. Die gute alte Imperialistenleier. Und die Tatsache, dass jeder Spieler bei jeder Würfelrunde theoretisch Rohstoffe beziehen und tauschen kann, macht es zu einem kurzweiligen, ja, zu einem sozialen Spiel.
Oder?
Hallo Siedler, ade Freundschaft!
Nein. Jeder, der dieses Spiel einmal gespielt hat, kann versichern: Es macht 80 Prozent seiner Spieler zu brutalen Monstern. Tränen, Geschrei, Bisswunden, you name it. «Die Siedler von Catan» macht Mütter zu Furien, friedliebende Mitbewohner zu üblen Missetätern, Geschwister zu raffgierigen Tieren. Die Sonne auf dem Cover geht nicht auf, sie geht unter. Blutrot.
Wieso das so ist, weiss niemand. Schliesslich ist «Monopoly» mindestens genauso gemein. Vielleicht liegt es an genau jener sozialen Komponente, die Diskussionen unumgänglich macht und hinterhältige Menschen zum ersehnten Lehm bringt und weg von den Schafen (Man merke sich: Niemand, absolut niemand braucht jemals Schaf. Niemand. Niemals.). Der Stärkere kriegt in direkter Konfrontation Lehm und als Reaktion folgt die urmenschliche Abscheu gegen oben. Früher waren es der Landadel, die Kapitalisten, die globalen Konzerne, die Kardashians, heute sind es die, die sich im «Siedler» den ganzen Lehm krallen.
Vielleicht liegt es aber auch einfach an der kindlichen Freude am Durchdrehen. Einmal so richtig erbarmungslos in Rage geraten und das Spiel dafür verantwortlich machen. Zur Beruhigung kann man sich danach immer noch die «Siedler»-Weltmeisterschaften ansehen. Entspannte Nerds, die um den Meistertitel spielen, ganz ohne Zetermordio. So was grausam Langweiliges hat man in seinem Leben noch nie gesehen.