Zur WM-Königin wird Stina Nilsson in Lahti wohl noch nicht aufsteigen. Einiges deutet jedoch darauf hin, dass sie den Langlauf dereinst dominieren könnte. Im Sprint heute ist sie die Gold-Favoritin.
In den schwedischen Medien ist Stina Nilsson längst omnipräsent. Jede ihrer Aussagen wird weiterverbreitet, kommentiert und interpretiert. Selbstverständlich kommen regelmässig auch Trainer und ehemalige Top-Langläufer als Experten zu Wort, wenn sich in Schweden mal wieder vieles um die mittlerweile bedeutendste Wintersportlerin des Landes dreht.
Nilsson selbst sucht die Öffentlichkeit nicht, mediale Inszenierungen sind ihr fremd. Sie liebt es, sich abseits des medialen Rummels in den Wäldern ihrer Heimat Malung in Mittelschweden aufzuhalten, dort zu trainieren. In einem Gespräch mit der schwedischen Zeitung «Dagens Nyheter» erzählte sie vor der WM in Lahti, wie sie mit grossem Interesse von Sixten Jernberg gelesen habe, dem viermaligen Olympiasieger der Fünfziger- und Sechzigerjahre. «Er war am glücklichsten draussen in den Wäldern. Ich habe mich in ihm wiedererkannt.» Der 2012 verstorbene Jernberg lebte unweit von Nilssons Wohnort. «Seine Wälder sind meine Wälder.»
Hauptprobe geglückt
Draussen in der Natur kann Nilsson die grosse Erwartungshaltung hinter sich lassen. An den bevorstehenden WM-Tagen in Lahti wird sie diese jedoch täglich spüren. Nach ihren vier Etappensiegen an der Tour de Ski kannte die Euphorie in Schweden fast keine Grenzen. Die Boulevard-Zeitung «Expressen» meinte: «Man glaubte immer, Marit Björgen werde die WM-Königin von Lahti. Aber sorry, Norwegen. Eine 23-Jährige aus Malung ist bereits jetzt bereit, den Thron zu besteigen.»
So weit dürfte es wohl nicht ganz kommen. Zu dominant präsentierte sich Björgen vor der WM in verschiedenen Distanzrennen. Am Donnerstag im Sprintrennen jedoch ist nicht die Titelverteidigerin Björgen die grosse Gold-Favoritin, sondern Nilsson. Die Tour-de-Ski-Dritte gewann in diesem Weltcup-Winter in dieser Disziplin bei sechs Starts vier Rennen, zuletzt jenes anlässlich der WM-Hauptprobe am vergangenen Wochenende in Otepää.
Wettkampf-Gen und taktisches Gespür
Das Wettkampf-Gen trägt Nilsson seit frühester Kindheit in sich. Sie habe es schon immer geliebt, sich mit anderen in allen möglichen Dingen zu messen. Sei es in der Schule beim Lösen von Mathe-Aufgaben oder beim Nachhauserennen. Die Schwedin verfügt nicht nur über mentale Stärke, sondern auch über ein ausserordentlich feines taktisches Gespür und eine schnelle Erholung. Alles Dinge also, die beim Sprint besonders zum Tragen kommen.
Geplant ist, dass Nilsson danach auch die anderen fünf WM-Rennen bestreiten wird – das komplette Programm also. Definitiv entschieden wird jedoch Tag für Tag. «Stina ist wahrscheinlich die Einzige, bei der sechs WM-Rennen in elf Tagen realistisch sind. Es ist auf jeden Fall eine grosse Herausforderung», sagt Ole Morten Iversen. Der Vater des derzeitigen Weltcup-Siebten Emil Iversen aus Norwegen ist nicht nur Schwedens Nationalcoach, sondern seit letztem Frühjahr auch Nilssons persönlicher Trainer.
Drei Medaillen – oder mehr?
Vor zwei Jahren bei der Heim-WM in Falun stand noch nicht Nilsson, sondern deren Teamkollegin Charlotte Kalla im Zentrum des öffentlichen Interesses. Doch die Ausbeute der damals erst 21-jährigen Nilsson war bereits beachtlich: Gleich dreimal durfte sie sich bei vier Starts Silber umhängen lassen. Drei Medaillen sollen es auch diesmal mindestens sein – neben jener im Sprint auch eine im Teamsprint und eine mit der Staffel. Ausserdem gehört Nilsson im Skiathlon zu den ersten Herausforderinnen der Norwegerinnen Marit Björgen, Heidi Weng und Ingvild Flugstad Östberg.
Zusammen mit Björgen will Nilsson im Sommer, wenn der WM-Rummel längst vergessen ist, in den Sumpflandschaften um Östersund Trainingseinheiten absolvieren. Eine entsprechende Einladung seitens der Schwedin steht. Es wäre dann wohl ein gemeinsames Sommertraining der derzeit besten mit der künftig dominierenden Langläuferin.