Festivals wie das Basler Theaterfestival taugen als Bestandesaufnahmen von Trends, neuen oder abgestandenen. Das Basler Team hat sie geglückt aufgespürt: Wir sind gespannt wie es weitergeht.
Vielleicht hat die Ägypterin Laila Soliman am besten getroffen, wie die Suche der Theatertruppen nach Zeitgenossenschaft zu erhellen sei. Ihre Frage: Wo muss der Widerstand anfangen? Dort wo die Kunst endet? Wo liegt die Widerstandslinie der Kunst? Am leichtesten ist sie mit der Behauptung zu ziehen, es gäbe sie nicht: No time for art! Kunst ist nicht mehr die Widerstandslinie des Geistes gegen die Barbarei! Sie ist das Mäntelchen der Barbarei. Laila Soleiman verzichtet auf Kunst? Nein. Ihre Kunst ist der Verzicht.
Vielleicht hat die Ägypterin Laila Soliman am besten getroffen, wie die Suche der Theatertruppen nach Zeitgenossenschaft zu erhellen sei. Ihre Frage: Wo muss der Widerstand anfangen? Dort wo die Kunst endet? Wo liegt die Widerstandslinie der Kunst? Am leichtesten ist sie mit der Behauptung zu ziehen, es gäbe sie nicht: No time for art! Kunst ist nicht mehr die Widerstandslinie des Geistes gegen die Barbarei! Sie ist das Mäntelchen der Barbarei. Laila Soleiman verzichtet auf Kunst? Nein. Ihre Kunst ist der Verzicht.
Soleiman lässt die Erlebnisse der Opfer der Militär-Junta in der ägyptischen Schiessbude vorlesen: Wortreich. Dokumentarisch. Kunstvoll, gerade weil sie Kunstanstrengungen vermeidet. Nach vierzig Minuten erlesenen Greueltaten, lassen die Zuschauerinnen in Basel ein Mikrofon von Hand zu Hand gehen und verlangen ein gerichtliches Verfahren gegen die Täter – auf Wunsch der Performerin. Widerstand? Alle haben mitgemacht.
Nicht nur wegen der Kasernen-Lüftung – sie war wohl auf Wüstensand eingestellt – wurde es bei der inzwischen ägyptischen Hitze manch einem etwas heiss beim Vorlesen der Namen der Opfer. Plötzlich sah man sich politisch herausgefordert. Die Stellungnahme wurde als Akt der Solidariät im performativen Vorgang von allen gemeinsam vollzogen. Betroffenheit. Zögernder Schlussapplaus. Licht an.
Haben wir nun etwa virtuell Widerstand geleistet? Darin haben viele der Älteren im Publiklum Erfahrung, nach Prag, nach Santiago, nach Peking – wirkungslos? Heute verschickt man «Don’t like it!». Das lässt den Börsenkurs von Face-Book steigen. Wirkungsvoll.
Das Theaterfestival Basel beweist schon in den ersten Tagen, dass es die Hauptlinien in der Entwicklung der Theaterkunst sammelt. Die kulturelle Differenz ist längst nicht mehr das Leitmotiv von Festivaltreffen. Aus Ägypten und Belgien und Deutschland etc. hat das Basler Team ein Programm zusammengestellt, das zwischen Tanz, Körpertheater, Installation und Performance pendelt – ohne sich für eine der Formen besonders zu interessieren. Allerdings mit einer spannenden Hauptlinie: Die von Habermas geortete Unübersichtlichkeit ist mit der Globalisierung zurückgekeht.
Die Truppen suchen alle nach Reibung zwischen Virtuellem und Wirklichem. Es gibt nicht mehr den polnischen Stil. Überall entstehen Patchworks und Kaleidoskope. Alle sind sie hauptsächlich dem einen unterworfen: dem Modediktat der Neuigkeit, das jede Strömung schneller vereinnahmt, als die Kunst sie produzieren kann. Widerstand ist längst zu einem systemerhaltenden Agens dieser Modeindustrie geworden.
Regisseure suchen ihre Stoffe überall, ausserhalb der Dramatik, in Romanen, in der Wirklichkeit, im Film, um sie inszenatorisch aufzubrechen. Truppen suchen nach neuen Spielwiesen für postdramatische Exerzitien. Körpertheater steht neben Tanz und Installation. Auf dem Radar des Modischen taucht immer wieder die Suche nach dem Modischen auf. Und immer wieder Widerstand. Aber wogegen denn?
Eine dieser Widerstandslinien sucht Jan Klata, der im nächsten Jahr Direktor des Krakauer Theaters wird, mit seiner Produktion «Ein Stück über Mutter und Vaterland». Er steht mitten in der polnischen Tradition – die von der globalisierten Trendewelt eben aufgesogen wird. Er inszenierte in Düsseldorf, Bochum, Salzburg. Er gehört zum Neopop des Politischen Theaters. Er ist aber auch das rebellische Kind seiner leichtfüssigen Zeit. Filmepen beeinflussen ihn nachhaltiger als Dramen. Das Internet befruchtete ihn weit mehr als die Universitätsbibliothek. Er zitiert Lara Croft. Er bezieht sich auf die Herr der Ringe-Verfilmung. Er holt als Theatermacher das Kino auf die Bühne, ohne eine einzige Video-Projektion. Steht deshalb als Nächstes ein Hamlet in Bochum im Programm?
Nach Basel ist er mit seiner Produktion von «Mutter und Vaterland» aus Polen eingeladen worden. In schnellen Schnitten, rasch wechselnden Bildern und Überblendungen steuert er durch einen Text, der sich mit den letzten siebzig Jahren polnischer Geschichte beschäftigt: Aus der Sicht der Frauen. Dabei hat er sich für einmal nicht einem Stück genähert, sondern einem Poem von Bozena Keff. Irgendwo zwischen Nerudas «Canto General», der die Niederschlagung der Demokratie in Chile beschreibt und T.S. Eliots «Wüstem Land», das mit Versatzstücken aus der Literaturgeschichte die Schatten des amerikanischen Traums schildert, mäandert Keff durch die Geschichte zwischen einer Tochter und deren Mutter, die dem deutschen KZ entkam.
Aus dem Nebel der Geschichte lässt Klata zu Beginn eine Wand mit Einschusslöchern auftauchen. Davor sprechen fünf Schemenmütter ein Klagelied in die Verallgemeinerung. Die sechs Frauen (eine von einem Mann gespielt) singen das alte Leid der Frauen, die sich und ihr Land von der Vätergeneration befreien wollen, in grossen Familiensärgen jener Mütter, die ihrerseits, dem KZ entkommen sind, nicht aber den Erinnerungen daran. Sie bleiben Gefangene. Auch unter der neuen Macht. Immer wieder wird diese Konstellation gewählt. Übermutter oder Übermensch? Die Tochter fragt sich durch Mutters Leben. Mit einer Mehrfachbesetzung spiegelt sich die Tochter dabei vielfach in ihrer Rolle. So macht Klata aus der Kind-Mutter-Geschichte den Schmerz eines nationalen Umbruchs.
Der Regisseur Klata sucht mit seinen Schauspielerinnen nach den im Poem angesprochenen Mythen. Orest. Lara Kroft. Modor. In kraftvollen Bildern lässt er die Tochter sich abnabeln. Am eindrücklichsten illustriert durch den langen, langen, alten Zopf, der sowohl im Kopf der Mutter wie im Kopf der Tochter endet, und die beiden wechselseitig zu einem Befreiungstanz vernabelt.
Immer wieder lässt Klata die rituellen Formen von Grotowski und die erstarrten Bilder von Kantor’s Toter Klasse anklingen. Er schöpft, so gesehen, tatsächlich aus der Tradition der grossen polnischen Theaterlabors: Modischer allerdings, mehr dem Pop verpflichtet, und der leichtfüssigen Rebellenpose, als der theatralen Forschung der beiden Ahnen. Widerstand muss er sich fast schon selber erfinden: Er rennt offene Türen ein.
Festivals wie das Basler Theaterfestival taugen als Bestandesaufnahmen von Trends. Neuen, oder abgestandenen. Das Basler Team hat sie geglückt aufgespürt: Wir sind gespannt wie es weitergeht.