Der 65-Jährige, der vor fünf Jahren in einem Winterthurer Hotelzimmer seinen kleinen Sohn getötet hat, kämpft mit allen Mitteln gegen seine Verwahrung. Im Hinblick auf den Berufungsprozess am Dienstag vor Zürcher Obergericht hat er ein neues Gutachten eingereicht.
Bis zum Urteil wird es noch dauern. Der Schweizer macht geltend, er leide am Asperger Syndrom – eine autistische Störung. Im Gefängnis hat er sich durch alle erreichbare Literatur zum Thema gearbeitet. «Es war eine Erlösung», sagte er vor Gericht. Er habe Einsicht in seine eigene Struktur erhalten.
Ein Privatgutachten eines Autismus-Spezialisten, das dem Gericht erst seit einigen Tagen vorliegt, bescheinigt dem Mann zwar kein Asperger Syndrom. Er weise aber verschiedene Auffälligkeiten auf, welche für autistische Strukturen sprächen.
Der Gutachter empfahl genauere Abklärungen, unter anderem neuropsychologische Tests. Für diese Störung gebe es erfolgreiche Therapiekonzepte, die zu absolvieren der Beschuldigte sich vor Gericht ausdrücklich bereit erklärte.
Damit widerlegte er ein zentrales Element der Anklage-Argumentation für eine Verwahrung: Dass er nämlich untherapierbar sei und auch gar keine Therapie-Bereitschaft zeige.
Richter: Es geht um viel
Die amtlichen Gutachter hatten keine Anzeichen für Autismus gefunden. Sie hatten dem Beschuldigten eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen attestiert.
Im Auftrag des Gerichts werden sie jetzt das umfangreiche neue Gutachten unter die Lupe nehmen. «Die Wahrscheinlichkeit von relevanten Befunden ist zwar gering», eine sorgfältige Abklärung sei aber unabdingbar, gehe es doch um sehr viel, nämlich lebenslangen Freiheitsentzug und Verwahrung, sagte der vorsitzende Richter.
Zwiespältiger Eindruck
Bei der Befragung machte der Beschuldigte einen zwiespältigen Eindruck: Er schilderte sich selbst vorwiegend positiv und erfolgreich und versicherte, die Tat tue ihm leid – ebenso wie der Tötungsversuch 1990 an seinem erstgeborenen Sohn, der seither schwer behindert ist.
Handkehrum aber machte er deutlich, dass im Grunde andere Schuld an der Tragödie hätten – namentlich seine Ex-Partnerin und Mutter des getöteten Kindes. Je näher die Befragung zum Tötungsdelikt kam, desto mehr Erinnerungslücken machte er geltend. Er verstieg sich gar zur Antwort «Nein» auf die direkte Frage des Richters, ob er seinen Sohn getötet habe.
Er wisse, er sei verantwortlich dafür, dass der Bub gestorben sei, aber «ich kann mich nicht erinnern, etwas unternommen zu haben, dass er erstickt ist». Jede Tötungsabsicht verneinte er – ungeachtet zahlreicher Indizien, unter anderem Briefe, in denen er recht unverblümt die Tötung des Kindes ankündigte, damit dessen Mutter sich nicht mit ihm ins Ausland absetzen könne.
Schlafmittel im Süssmost
Der Beschuldigte war am 26. Februar 2010 mit seinem Sohn – am Tag vor dessen fünftem Geburtstag – von Bonstetten ZH nach Winterthur gefahren. Dort mietete er ein Hotelzimmer für sie beide. In einem Glas Süssmost löste er mehrere Schlaftabletten auf und gab das Gemisch dem Buben zu trinken. Nachdem dieser im Tiefschlaf lag, erstickte der Vater ihn mit einem Kissen.
Auch er selbst schluckte einige Tabletten. Schliesslich setzte er einen mitgebrachten Feuerlöscher in Gang und hoffte, am Staub zu ersticken. Weil dadurch aber Brandalarm ausgelöst wurde , kamen Hotelangestellte ins Zimmer und vereitelten den Suizid. Seit dem Tattag ist der Mann inhaftiert. Seit bald zwei Jahren ist er im vorzeitigen Strafvollzug.
Staatsanwalt warnt vor Rückfallgefahr
Staatsanwalt Pascal Gossner forderte eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wegen Mordes sowie Verwahrung. Er warnte vor erheblicher Rückfallgefahr. Die Schuldfähigkeit sei höchstens leicht vermindert gewesen.
Der amtliche Verteidiger Adrian Suter machte eine mindestens mittelgradig verminderte Schuldfähigkeit geltend. Er plädierte auf eine siebenjährige Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Tötung.
Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte den Mann im August 2013 wegen Mordes zu 18 Jahren Freiheitsentzug. Es sah von einer Verwahrung ab. Es sei unwahrscheinlich, dass der Beschuldigte nach Verbüssung seiner Freiheitsstrafe wieder in eine vergleichbare familiäre Situation – ein Trennung – komme und zu einem Kind eine enge Beziehung habe. Eine Rückfallgefahr gebe es kaum.