Nach dem holprigen Start seiner zweiten Amtszeit hat US-Präsident Barack Obama in der jährlichen Rede zur Lage der Nation zum Befreiungsschlag ausgeholt. Obama rief in der Nacht zum Mittwoch zum Kampf gegen die wachsende soziale Ungleichheit auf.
Der Präsident versprach ein «Jahr des Handelns» – und warnte die Republikaner, sie bei einer Blockade im Kongress mit Dekreten zu umgehen. «Nach vier Jahren Wirtschaftswachstum sind Unternehmensgewinne und Aktienkurse so hoch wie selten, und den Topverdienern ging es nie besser», sagte Obama vor den Volksvertretern aus Senat und Repräsentantenhaus in Washington.
Der Durchschnittslohn habe sich dagegen kaum verändert. Die «kalte, harte Tatsache» sei, dass zu viele Menschen in den USA kaum über die Runden kämen, fuhr er fort.
Der Präsident gab sich aber optimistisch, dass 2014 für die US-Wirtschaft zu einem «Jahr des Durchbruchs» werden könnte. Obama verlangte vom Kongress ausserdem, endlich eine umfassende Einwanderungsreform zu verabschieden. Auch die Verschärfung des Waffenrechts bleibe auf seiner politischen Agenda. Für den Klimaschutz will sich der Präsident ebenfalls weiter stark machen.
Für die Familien
An die Republikaner, die sich mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus immer wieder quer stellen, richtete Obama eine klare Botschaft. «Amerika steht nicht still – und ich werde das auch nicht», sagte er. «Wo und wann immer ich Schritte ohne Gesetzgebungsverfahren machen kann, um die Möglichkeiten für mehr amerikanische Familien zu erweitern, werde ich das tun.»
Das Weisse Haus veröffentlichte eine Reihe von Initiativen, die der Präsident in diesem Jahr per Dekret durchsetzen will. Dazu zählt die Anhebung des Mindestlohns für Arbeiter von Firmen, die Aufträge von Bundesbehörden ausführen. Für sie soll der Stundenlohn demnach von mindestens 7,25 Dollar auf mindestens 10,10 Dollar steigen.
«Wenn man für unsere Soldaten kocht oder ihre Teller abwäscht, dann sollte man nicht in Armut leben müssen», sagte er zur Begründung. Obama drängte den Kongress dazu, den Mindestlohn für alle Arbeiter in den USA auf dieses Niveau anzuheben.
Von Guantánamo über Ukraine bis Iran
In der Aussenpolitik erklärte der Präsident seine Unterstützung für die Protestbewegung in der Ukraine. «Alle Menschen haben das Recht, sich frei und friedlich auszudrücken», sagte er mit Blick auf die angespannte Lage in dem osteuropäischen Land.
Im Atomstreit mit dem Iran rief er den Kongress auf, von schärferen Sanktionen abzusehen und der Diplomatie eine Chance zu geben. Laut Obama wollen die USA auch nach ihrem Abzug aus Afghanistan Ende 2014 das Land weiter unterstützen. Wenn die Regierung in Kabul das bereits ausgehandelte Sicherheitsabkommen unterschreibe, könnte eine kleine Truppe von Amerikanern im Land bleiben, um gegen die Überreste von Al-Kaida zu kämpfen.
Erneut betonte er seinen Willen, das weltweit kritisierte Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba zu schliessen. Er forderte den Kongress auf, den Weg freizumachen, Gefangenen in andere Länder zu transferieren.
Schwieriges Jahr wegen NSA und Syrien
Der im Januar 2013 für eine zweite Amtszeit vereidigte Präsident blickt auf ein schwieriges Jahr zurück. Obama lieferte sich mit den Republikanern im Kongress einen erbitterten Kampf um den Haushalt, der im Oktober die Bundesverwaltung paralysierte. Ausserdem musste er Rückschläge bei seiner Gesundheitsreform hinnehmen.
Aussenpolitisch legten ihm Kritiker seine zögerliche Reaktion auf einen Giftgaseinsatz im syrischen Bürgerkrieg als Schwäche aus. In seiner Rede verteidigte sich der Präsident: Die Mischung aus Diplomatie und Angriffsdrohung der USA habe es erst ermöglicht, dass die syrischen Chemiewaffen nun zerstört würden.
In Bedrängnis brachten Obama auch die Enthüllungen des Ex-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden zu den Überwachungsprogrammen des US-Geheimdienstes NSA. Dieses Thema sprach der Präsident nur am Rande an und bekräftigte dabei seinen Reformwillen: «Die unverzichtbare Arbeit unserer Geheimdienste hängt von dem Vertrauen der Öffentlichkeit hier und im Ausland ab, dass die Privatsphäre normaler Leute nicht verletzt wird.»