Obergericht verschärft Strafe gegen „Heiler“ von Bern auf 15 Jahre

Im Berufungsprozess gegen den „Heiler“ von Bern hat das Obergericht den 55-jährigen Mann zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Es folgte damit dem Staatsanwalt und verschärfte das Urteil der ersten Instanz.

Der "Heiler" von Bern während des Prozesses (Archiv) (Bild: sda)

Im Berufungsprozess gegen den „Heiler“ von Bern hat das Obergericht den 55-jährigen Mann zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Es folgte damit dem Staatsanwalt und verschärfte das Urteil der ersten Instanz.

Der amtliche Verteidiger des selbsternannten „Heilers“ hatte dagegen einen Freispruch oder eine mildere Strafe beantragt. Wie bereits die Vorinstanz sieht es das Obergericht indes als erwiesen an, dass der „Heiler“ mindestens 16 Personen vorsätzlich HI-Viren injiziert hat.

Zu den Taten kam es zwischen 2001 und 2005, mehrheitlich während angeblichen Akupunkturbehandlungen oder Meditationen in der Wohnung des ehemaligen Musiklehrers und Pseudo-Heilers in der Stadt Bern.

Der Mann bestreitet die Taten bis heute. Das Regionalgericht Bern-Mittelland hatte ihn im Frühling 2013 in einem Indizienprozess zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren und 9 Monaten verurteilt.

Höchstmögliche Strafe verfügt

Auch vor Obergericht erfolgte der Schuldspruch wegen schwerer Körperverletzung und Verbreitens menschlicher Krankheiten. Doch anders als das Regionalgericht schöpfte die zweite Instanz das mögliche Strafmass von 15 Jahren voll aus.

Der Verurteilte muss zudem den Opfern eine Genugtuung von je 100’000 Franken zahlen. Auch in diesem Punkt bestätigte das Obergericht das vorinstanzliche Urteil. Der „Heiler“, ein italienisch-schweizerischer Doppelbürger, bleibt in Sicherheitshaft, in der er sich schon seit März 2013 befindet. Er nahm das Urteil des Obergerichts ruhig entgegen.

Der vorsitzende Richter, Oberrichter Philippe Guéra, sprach bei der Urteilsbegründung von einem „kaltblütigen und berechnenden“ Vorgehen, das seinesgleichen suche. Wie die Vorinstanz kam das Obergericht zum Schluss, die Beweislage sei erdrückend und für einen Indizienprozess von seltener Klarheit.

Motiv bleibt im Dunkeln

So sprach nicht nur ein Laborgutachten, das eine enge genetische Verwandtschaft der HI-Viren bei den Opfern ergab, gegen den Angeschuldigten. Auch dessen eigene Aussagen und sein Verhalten während des ganzen, langjährigen Verfahrens hätten ihn insgesamt eher belastet als entlastet, befand das Obergericht.

Zwar habe nicht genau geklärt werden können, bei wem sich der „Heiler“ das verseuchte Blut beschaffte, sagte der Oberrichter. Auch das Motiv müsse im Dunkeln bleiben. Doch insgesamt gebe es keine nicht zu unterdrückenden Zweifel an der Schuld des Mannes. Dessen Tatverschulden wiege „ausserordentlich schwer“.

In allen 16 Fällen sei die HIV-Ansteckung als schwere Körperverletzung zu werten, befand das Obergericht. Daran ändere auch die im März 2013 geänderte Rechtssprechung des Bundesgerichts nichts, wonach eine HIV-Infektion heute wegen des medizinischen Fortschritts nicht mehr automatisch lebensgefährlich sei.

Die HIV-Infektion sei für alle 16 Opfer des „Heilers“ eine enorme Belastung. Die Infektion sei nach wie vor nicht heilbar. Die Opfer müssten lebenslang Medikamente mit schweren Nebenwirkungen einnehmen und hätten berufliche und gesellschaftliche Nachteile zu ertragen, so der Richter.

Weiterzug noch offen

Ob der „Heiler“ das Urteil des Obergerichts ans Bundesgericht weiterzieht, blieb offen. Sein Verteidiger gab gegenüber Journalisten an, zuerst die schriftliche Begründung abzuwarten.

Eine Vertreterin der Opferhilfe Bern zeigte sich in einer ersten Reaktion „erleichtert“ über das Urteil des Obergerichts. Das juristische Verfahren werde irgend einmal abgeschlossen sein, doch die Opfer des Mannes müssten mit ihrer HIV-Infektion weiterleben.

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