Occupy Wall Street feiert ersten Geburtstag

Die Polizei bewacht den Zuccotti-Park am Südzipfel von Manhattan. Und um die Occupy Wall Street Bewegung ist es still geworden. Aber am ersten Jahrestag der spektakulären Besetzung, der hunderte von Platzbesetzungen in Städten quer durch die USA folgten, sind am 17. September neue Proteste im Finanzdistrikt von New York geplant. Gründe dafür gibt es noch […]

Rafal, Student aus Albany, nach einer Nacht auf einer Polizeiwache in New York

Die Polizei bewacht den Zuccotti-Park am Südzipfel von Manhattan. Und um die Occupy Wall Street Bewegung ist es still geworden. Aber am ersten Jahrestag der spektakulären Besetzung, der hunderte von Platzbesetzungen in Städten quer durch die USA folgten, sind am 17. September neue Proteste im Finanzdistrikt von New York geplant. Gründe dafür gibt es noch genau so viele wie am ersten Tag.

«Mic check!» Der Ruf soll am 17. September erneut durch die Strassen im Finanzdistrikt von New York hallen. Exakt ein Jahr zuvor haben die BesetzerInnen vom Zuccotti-Park diese Methode der öffentlichen Rede populär gemacht. Sie durften weder Lautsprecher noch Megaphone benutzen. Also rief, wer etwas sagen wollte, zur Eröffnung: «Mic check» in die Runde. Die Umstehenden wiederholten jedes einzelne Wort. So lange, bis die komplette Rede bis in die letzte Reihe von oft großen Menschenmengen vorgedrungen war.

Das «menschliche Mikrofon» ist eine von vielen Hinterlassenschaften der Occupy Wall Street Bewegung. Ebenfalls dazu gehört die Einteilung der US-Gesellschaft in «1%» und «99%». Sowie eine radikale Kehrtwende im öffentlichen Diskurs der USA. Wo sich zuvor alles um Haushaltsdefizit und die Notwendigkeit von Sparen und Steuersenkungen drehte, haben die jungen BesetzerInnen es geschafft, etwas für US-Verhältnisse so Subversives wie soziale Gerechtigkeit in die Debatte zu bringen. 

Einige der BesetzerInnen der erste Stunde des Zuccotti-Parks haben mir im Herbst 2011 ihre Motive erklärt.

Ein Jahr nach der ersten Besetzung wollen manche BesetzerInnen nun an den Ort des Geschehens zurückkehren. Wollen erneut mit «menschlichem Megaphon» und anderen gewaltfreien Methoden soziale Gerechtigkeit und mehr Demokratie einfordern.

«Die Revolution geht weltweit weiter», heisst es auf einer Webseite, die zu einem Aktionstag «gegen Finanzielle Gier und Korruption» aufruft. Der Montag, 17. September, trägt den Arbeitstitel: «#S17». Doch auch die Polizei umzingelt die Wall Street am Jahrestag. Schon am Wochenende zuvor hat sie Dutzende von DemonstrantInnen in New York City festgenommen.

Nachdem die ProtagonistInnen der Occupy Wall Street im Herbst 2011 erst den Zuccotti-Park und dann Hunderte von anderen Plätzen quer durch die USA besetzt und wochenlang Schlagzeilen gemacht hatten, sind sie im Winter aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Polizei hat die meisten besetzten Plätze geräumt. An manchen Orten brutal. Die Medien wendeten sich anderen Themen zu. Und die verbleibenden AktivistInnen konzentrierten sich auf kleinere, weniger spektakuläre Aktionen. Eine davon ist es, HausbesitzerInnen, die ihre Raten an die Bank nicht mehr zahlen können, vor der Räumung zu bewahren. Sie nennen es: «Occupy our homes». 

In diesem Spätsommer sind erneut ein paar Busse quer durch das Land getourt, um bei den Parteitagen der Republikanischen und der Demokratischen Partei zu protestieren. Trotz Hurricane-Warnung sind sie nach Tampa in Florida gefahren und haben eine Zeltstadt namens «Romney-Ville» aufgeschlagen. Doch echter Enthusiasmus kam nicht auf. Die Polizei hatte 10 bis 15000 DemonstrantInnen gegen den Republikanischen Parteitag erwartet, ein Jahr lang Anti-Aufstandstechniken geübt und die komplette Innenstadt von Tampa mit Zäunen und Barrikaden verrammelt. Am Ende kamen nur 500 DemonstrantInnen.

Ein paar Tage später, in Charlotte, in North-Carolina, bauten die Aufrechten wieder eine Zeltstadt auf. Sie nannten sie «Obama-Ville». Und demonstrierten erneut gegen die «Parteien der 1%». 

Als nächstes ist die Geburtstagsparty an der Wall Street in New York an der Reihe. Ein Jahr später gibt es genauso viele Argumente für die Occupy Wall Street Bewegung wie zuvor. Die Probleme sind jetzt zwar benannt, aber keines ist gelöst.

Doch die Lage für eine ausserparlamentarische Bewegung ist härter geworden. Denn der Präsidentschaftswahlkampf absorbiert die meisten politischen Kräfte. Unter ehemaligen BesetzerInnen sind viele weiterhin nicht von Barack Obamas Politik überzeugt. Aber einen Präsidenten Mitt Romney wollen auch sie nicht.

Den alten und neuen ProtragonistInnen der Occupy Wall Street Bewegung wünsche ich einen «happy birthday».

 

PS am Tag danach: Die New Yorker Polizei hat allein am Aktionstag über 180 Personen festgenommen. Darunter mehrere ReporterInnen. Rund um den Finanzdistrikt von Manhattan fanden Dutzende von Blockaden, Demonstrationen und Teach-Ins statt. Ein stolzes Resultat für eine vielfach tot gesagte Bewegung.

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