Fast seit einem halben Jahrhundert ist sie Hassobjekt und Reizfigur. Zu ihrem 80. Geburtstag am 18. Februar dreht die TagesWoche im «Listomania»-Blog den Spiess um – und erklärt, warum man Popkultur-Ikone, Performance-Künstlerin und Lennon-Witwe Yoko Ono eigentlich lieben muss.
Einen Beliebtheitswettbewerb wird sie nie gewinnen. Doch wer Yoko Ono, bis heute Hassobjekt und Reizfigur, noch immer verabscheut, begeht einen grossen Fehler. Warum, zeigt unsere Liste zum 80. Geburtstag der Pop- und Performance-Ikone, Lennon-Witwe und weltweiten Projektionsfläche: 7 Gründe, warum man Yoko Ono lieben (oder zumindest mögen) sollte. Happy Birthday, Yoko!
1. Fertig Huscheli!
Mit Yoko Ono endete der Mythos von der «Frau an seiner Seite», welche den Gattinnen prominenter Männer nur die Rolle der attraktiven, aber treusorgenden Ehefrau und Mutter zugestand. Plötzlich war da eine Dame, die unverfroren selber aktiv war, und – ob gefragt oder ungefragt – ihre eigene, unabhängige Meinung äusserte. Der Hass, der seiner Partnerin dafür entgegenschlug, animierte den zuvor eher als Frauenheld denn als Frauenrechtler aufgefallenen John Lennon zum Titel «Woman Is the Nigger of the World», der in Zwischenzeit längst zum geflügelten Wort geworden ist.
2. Yoko Ono war (und ist bis heute) eine radikale, bahnbrechende Künstlerin.
John Lennon verliebte sich laut eigener Aussage auf den ersten Blick in Yoko, als er eine ihrer Kunstausstellungen besuchte. Was viele dabei vergessen: Ausschlaggebend war nicht (nur) das Äussere der asiatischen Schönheit, sondern vielmehr ihre gewagte, bahnbrechende künstlerische Arbeit. Bekannt wurde Yoko One in den 60er Jahren nämlich durch eine Reihe radikaler, künstlerischer Performances – zum Beispiel der «Cut Pieces», bei denen sie sich die Kleider von den Besuchern nach und nach vom Leib schneiden liess.
Oder bereits früher, 1961, mit einer ihrer ersten, internationale Aufmerksamkeit auslösenden Aktionen: Dem «Painting To Be Stepped On», einem Stück Leinwand, das auf dem Boden lag und auf dem Besucher ihre Fussspuren hinterlassen sollten. Dies zählt heute zu einem der ersten partizipativen Kunstwerke überhaupt – und Ono selbst meinte kürzlich in einem Spiegel-Interview, die Absicht sei bereits zu diesem, frühen Zeitpunkt gewesen, «die Menschen am künstlerischen Prozess zu beteiligen. So wurden sie selbst zu Künstlern. Eigentlich hatte schon damals alles mit Welt und Frieden zu tun – mit der Idee, dass wir alle zusammen gehören.»
3. Yoko Ono hat John Lennon zu vielen seiner besten Liedern inspiriert.
Gut, einverstanden, nicht alle von uns können sich mit den experimentellsten Ergüssen der «Plastic Ono Band» anfreunden. Doch daraus abzuleiten, Yoko Ono habe John Lennon musikalisch «verdorben», wie einige Zeitgenossen damals behaupteten, ist absurd.
Im Gegenteil: Viele von Lennons besten Liedern, Zeugen seines unglaublichen Talents für Songwriting (das ihm in den ersten Beatles-Jahren im Vergleich zu Paul McCartney oft abgesprochen wurde), waren ganz klar von Yoko, der grössten und wichtigsten Muse seines Lebens, inspiriert. Anstelle der bekanntesten Yoko- Lieder sei an dieser Stelle einer der berührendsten Lennon-Klassiker erwähnt: «Jealous Guy», sein musikalisches Eingeständnis der eigenen Eifersucht.
4. Ohne Yoko Ono hätte es kein «Bed-In» gegeben.
Viele Künstler und Musiker demonstrierten auf ihre Art gegen den Vietnamkrieg – Jimi Hendrix beispielsweise mit seiner Zersäbelung der amerikanischen Nationalhymne am Ende des Woodstock-Festivals. Doch kaum eine Antikriegsaktion erreichte ein dermassen grosses Interesse und Medienecho wie Ono und Lennons zweiwöchiges, in Amsterdam, auf den Bahamas und Montreal abgehaltenes «Bed-In». Getreu dem «Sit-In», dem bei der 68-er Generation beliebten Sitzstreik vor oder in einem Gebäude, empfingen Yoko und John dabei im Frühjahr 1969 unzählige Gäste, darunter Journalisten und Politiker, zu Debatten über den Sinn (respektive Unsinn) dieses Krieges.
Der Clou: Das «Bed-In», das bewusst mit seiner sexuellen Doppeldeutigkeit spielte, fand anlässlich der Hochzeit des Paares statt und genoss daher weltweite Aufmerksamkeit. Der Verzicht auf eine opulente Feier, das In-Dienst-stellen der eigenen Beziehung für ihre Rolle als Friedensaktivistin – damit bewies Yoko Ono Engagement und Courage. Im Dezember 1969 doppelte das Paar mit der Weihnachtsbotschaft «WAR IS OVER! If You Want It – Happy Christmas From John and Yoko» nach, die sie für viel Geld in elf Weltstädten als Plakat aufhängen liessen.
5. Yoko Ono liess John Lennon Raum für seine persönliche Entwicklung – und sogar für andere Frauen.
Nach dem Bed-In wurde mancherorts der Vorwurf laut, das Ganze sei nur eine (eher benebelte) Promo-Aktion gewesen. Doch wie ernst Ono den damaligen Zeitgeist der «freien Liebe» nahm, zeigte sie ein paar Jahre später, als ihre eigene grosse Liebe John 1973 offiziell aufgrund von Studioaufnahmen, tatsächlich aber wegen einer Ehe- und Identitätskrise vorübergehend von New York nach L.A. zog – während seines dortigen, 18 Monate (!) andauernden «Lost Weekends» allerdings kein Album aufnahm, und stattdessen ein von ihr (je nach Quelle) arrangiertes oder zumindest akzeptiertes Techtelmechtel mit seiner Assistentin May Pang begann. Nach eineinhalb Jahren Alkohol-, Drogen- und weiterer Exzesse kehrte Lennon allerdings reumütig zu Yoko zurück. Für immer.
6. Yoko One hat Mark Chapman, dem Mörder ihres Gatten, vergeben.
Nicht nur im Leben bewies Yoko Ono viel Toleranz gegenüber ihrem Gatten: Den wohl grösstmöglichen Beweis für ihre tiefgreifende Gesinnung als Botschafterin des Weltfriedens erbrachte Ono John Lennon postum. Statt den gewaltsamen, frühen Tod Lennons auszuschlachten oder Vergeltung zu fordern, hielt sie (und hält sie bis heute) friedliche Gedenkfeiern ab – und hat dem Mörder Mark Chapman in Zwischenzeit vergeben.
7. Yoko Ono hat die Beatles auseinander gebracht.
«Wie bitte?», fragen Sie sich vielleicht: «Ist das Ihr Ernst? Inwiefern soll diese schreckliche Freveltat ein Grund sein, Yoko Ono zu mögen?» Doch Sie haben richtig gehört – denn jetzt, wo wir uns Yoko einmal mit einer rosaroten (oder besser: unbefangenen) Brille genähert haben, ist die Zeit reif, um den grössten Vorwurf an Frau Ono zu entkräften: «Yoko Ono hat die Beatles auseinander gebracht.» Ob sie das wirklich hat, oder ob die Bandmitglieder bloss nach über einem Jahrzehnt (wie die allermeisten Bands) den Eindruck hatten, dass alle von nun an lieber ihre eigenen Wege gehen sollten, sei dahingestellt.
Doch sogar wenn: Was, bitte sehr, wäre daran so schlimm? Ist es nicht besser, als die damals laut Kritikern «beste» oder «erfolgreichste Band aller Zeiten», auf dem eigenen Karriere-Höhepunkt aufzuhören? Was wäre, wenn die Beatles weitergemacht hätten? Wären sie so unantastbar geblieben, wie sie es bis heute sind? Was aus ihren grössten Rivalen, den Rolling Stones wurde, sieht man heute ja: Tattrige Dinosaurier, die seit Jahren irrelevante Alben aufnehmen, um immer wieder auf überteuerte Abschiedstourneen gehen zu können. Der Papst wurde für seine Einsicht, das Amt rechtzeitig abzugeben, weltweit gelobt. Yoko Ono hat man dagegen verteufelt. Wir finden: Mit der rechtzeitigen Trennung hat sie den Beatles eigentlich vielmehr einen Dienst erwiesen – möglicherweise sogar den grössten überhaupt.