«Omar» – Liebe in Zeiten der Zivilkriege

An der Mauer fallen Schüsse. Ein junger Mann flieht. Die Geschichte scheint seit dem Mauerfall Geschichte. Nur der Name des jungen Mannes will dazu nicht passen: Omar. An der Mauer fallen Schüsse. Ein junger Mann flieht. Er trifft drüben seine Geliebte. In der Nacht ist er mit seinen Freunden unterwegs. Wieder fallen Schüsse. Tage danach […]

An der Mauer fallen Schüsse. Ein junger Mann flieht. Die Geschichte scheint seit dem Mauerfall Geschichte. Nur der Name des jungen Mannes will dazu nicht passen: Omar.

An der Mauer fallen Schüsse. Ein junger Mann flieht. Er trifft drüben seine Geliebte. In der Nacht ist er mit seinen Freunden unterwegs. Wieder fallen Schüsse. Tage danach wird er von der Geheimpolizei gefasst, gefoltert und zur Kollaboration gezwungen. Die Geschichte scheint seit dem Mauerfall Geschichte: Nur der Name des jungen Mannes will dazu nicht passen: Omar.

Die Mauer steht nicht in Deutschland. Sie steht in Palästina. Die Geheimpolizei ist weder die Stasi noch die Gestapo. Sie gehört zum Staat Israel. Der junge Mann wird für eine Brigade der Palästinenser geworben und seine Geliebte, Nadja, ist die einzige Frau, der der Film ein Gesicht gibt: «Omar» ist eine Liebesgeschichte.

Frau mit Schlüsselrolle. Männer mit Hauptrollen

«Omar» ist aber auch vor allem eine Männergeschichte. Wie in weiten Teilen der Geschichte des Nahen Ostens spielt die Frau darin zwar die Schlüsselrolle. Aber nicht die Hauptrolle. Die haben die Männer inne mit ihrer neuen Form von Kriegen.

Die Liste dieser neuen Zivil-Kriege wird täglich länger. Omar hat nur das Unglück an der Front zwischen der islamischen und jüdisch-christlichen Welt zu leben. Dass er wie ein moderner Romeo mit seiner Liebe eine Zeitlang über die Mauer des Hasses hinwegkletternd für seine Liebe kämpft, macht die Geschichte noch einprägsamer: Wie in «Romeo und Julia» ist er bald für den Tod eines Familienmitgliedes seiner Julia verantwortlich.

Nach «Paradise now» die bedrückende Rückseite

Hany Abu-Assad hat mit «Paradise now» bereits international Aufsehen (Oscar-Nomination, Golden Globe) erregt. Auch mit «Omar» findet er in Palästina Bilder, die weit über die Mauer hinausweisen: In die Landschaft der neuen Zivilkriege, in die immer mehr Regionen der Welt gleiten.

«Omar» ist einer jener Filme, die man eigentlich nur tief deprimiert verlassen kann.  «Where civil blood makes civil hands unclean» benannte Skakespeare einst einen ewigen Konflikt der Borniertheit. Wer sich dennoch einlassen will auf diese Liebesgeschichte, findet immerhin eine der interessantesten Analysen über moderne Zivilkriegsführung. Und einen verblüffend intelligent gemachten Liebes-Krimi.

Eine Parabel auf moderne Zivilkriege

Hany Abu-Assad ist ein Film geglückt, der weit über Palästina hinausweist: Seine Parabel kann fast für jeden Konfliktfall angewendet werden, wo Folter erlaubt, Geiselnahme üblich, Überwachung normal und Erpressung die Regel ist. «Omar» legt beängstigend Zeugnis ab über eine moderne Kriegsform. Wer für Syrien, Senegal, Mexiko, Mali, Ukraine etc. nach Erklärungen sucht, findet hier nötige Fragen.

Hany Abu-Assad verzichtet auf einen Prolog, wie Shakespeare ihn vor sein Stück stellte. Er drängt uns auch keine Schlussfolgerung auf, wie es der Fürst in Shakespeares Stück tut. Er endet wie er anfängt: An der Mauer. Mit einem Schuss.

Der Trug-Schluss mit dem Schuss

Omar, einnehmend gespielt vom Israeli Adam Bakri, muss einsehen, dass er nur der Spielball der Geheimpolizei war. Wenigstens ein junger Mann der etwas einsieht. Aber auch das ist kein wirklicher Trost: Der Schluss, den er zieht, ist: ein Schuss zum Schluss.

Damit ist eine Fortsetzung garantiert: Danach werden da draussen weiterhin unzählige junge Männer herumlaufen, die noch immer im Namen des Glaubens Frauen verschachern und schiessen – anstatt in solche Filme zu gehen, aufzupassen, um danach die Frage beantworten zu können: Wer belügt hier wen womit?  


Der Film läuft aktuell in den Kult-Kinos.

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