Ryan Gosling bringt als cooler Melancholiker Frauenherzmuskeln schon lange zum flattern. Spätestens mit «Drive» hat er auch Männermuskeln in Hirnnähe erobert. Wer glaubt, Gosling habe bis jetzt vor der Kamera wenig getan, um als grosser Schauspieler zu gelten, aber dies sehr eindrucksvoll, darf sich jetzt davon überzeugen, dass er auch noch weniger tun kann als das Minimum: «Only God forgives»!
Die Décors von «Only God forgives» würden sich allesamt als Hintergrund für hippes Mode-Label oder ein Hochglanz-Magazin über modernes urbanes Leben eignen. Wir dürfen in exotische, wohlausgeleuchtete Luxussuiten schauen. Wir dürfen gutgestilte, thailändische Farbwunder der abgefuckten Sorte bestaunen. So hinreissend ausgeleuchtet und durchgehend ins Detail verliebt darf eine Kamera nur selten Bilder einfangen.
Der Regisseur Nicolas Winding Refn ist Däne und hat mit «Drive» einen grandiosen Einstand in Hollywood gefeiert. Zu früh: Jetzt feiert er bereits sich selbst. Als wäre er selber vor seinen optischen Einfällen in Ehrfurcht erstarrt, lässt er die Schauspieler gut ausgeleuchtet in Fotos herumstehen. So sollten sie wohl möglichst die hippen Décors zur Geltung bringen. Als hätte der Regisseur ihnen auch verboten, sich störend zu gebärden, sagen sie dann Sätze auf, die Fotoromanzenleserinnen bereits höchstes Niveau abfordern.
Fotoromanze mit viel zu vielen Blasen
Es geht in der Geschichte um eine verquaste Psychologie einer Mutter, die ihren Abtreibungstermin verpasst hat. Der intellektuelle Anspruch an uns kann man am besten so umschreiben: Was in der Fotoromanze in der Blase mit den vielen kleinen Bläschen steht, denkt die Figur nur. Das andere sagt sie. Leider. Und wir hören es. Leider. «Only God forgives».
Das Drehbuch bietet viel Frauenhandel-Milieu, Killerbösewichte und Nacht-Athmo. Ebenso entsprechend obskure Dekoration. Das Drehbuch erkärt auch gerne immer mal wieder, worum es geht, damit auch wir es verstehen, die sonst nur Fotoromanzen lesen: Der gute Bruder muss für den bösen Bruder den Kopf hinhalten. Beide Brüder scheinen ausserdem ein happiges Problem mit ihren Schwellkörpern zu haben, wenn sie eine Frau sehen: Gosling musste sich für das letzte Drittel des Films die Schwellkörper von der Maske sogar ins Gesicht applizieren lassen, damit das ganze auch für Weichgesottene irgendwie gruselig bleibt.
Geisterbahngrusel
Damit wir nicht allzusehr ins Grübeln kommen, warum ausgerechnet ein Schauspieler (Vithaya Pansringarm), der schon bei einer Podesttreppe ins Schwitzen kommt, den bösen Oberoberoberkämpfer spielen muss, werden wir hin und wieder mit Geisterbahngrusel aufgeschreckt: Da tropft dann mal ein aufgeschlitzter Unterleib, mal klafft ein angeschnittener Hals, oder es liegt auch bloss ein Hirn herum. Wer von den Produzenten hat es da wohl liegen lassen?
Wer sich seine Begeisterung für Ryan Gosling nicht in Frage stellen lassen will, schaut stattdessen «The Place Beyond the Pines» an. Eine gute Story, ein guter Gosling, ein guter Film, mit Hirn und Herz und Spannung.
Der Film läuft zur Zeit in den Pathé-Kinos