In Tunesien ist am Donnerstag ein bekannter Oppositionspolitiker Opfer eines Mordanschlags geworden. Der 58-jährige Mohamed Brahmi wurde vor seinem Haus in Ariana nahe der Hauptstadt Tunis erschossen.
Brahmi war Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der Volksbewegung, einer kleinen linksgerichteten Partei. Sein Parteikollege Mohsen Nabti berichtete einem Radiosender, Brahmi sei vor den Augen seiner Familien getötet worden. Laut dem Sender Watanya wurde der Politiker von elf Kugeln getroffen.
Da der Mordanschlag am Gedenktag zur Republikgründung im Jahr 1957 verübt wurde, gab es kaum Zweifel daran, dass radikalislamische Kräfte hinter der Tat stecken. «Die Nachricht ist klar. Die Täter sind gegen den Staat und die Werte der Republik», sagte Chérif Khyari von der Parteienkoalition Front Populaire der Nachrichtenagentur dpa.
Brahmis Witwe Mbarka sagte, eine «kriminelle Bande» habe ihren Mann getötet. Sie sagte aber nicht, wen genau sie hinter der Tat vermutet. Brahmi war ein bekannter Kritiker der regierenden Ennahda-Partei und ein Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung, die ein Grundgesetz für das Land ausarbeiten soll.
Der Vorsitzende des Gremiums erklärte den Freitag zu einem Trauertag. Die grösste Gewerkschaft rief zu einem Generalstreik auf. «Wir verurteilen dieses abscheuliche Verbrechen aufs Schärfste», kommentierte die Ennahda die Bluttat.
Der Mord sei nicht nur ein Angriff auf Brahmi, sondern auf den gesamten demokratischen Übergangsprozess. Die Verfassungsgebende Versammlung in Tunesien will in Kürze ihre Arbeit an einer neuen Verfassung abschliessen. Im Anschluss soll es Neuwahlen geben.
Proteste und Verurteilung
Nach der Ermordung demonstrierten in Tunesien Tausende Menschen gegen politisch motivierte Gewalt. In Brahmis Geburtsregion Sidi Bouzid und der Hauptstadt Tunis kam es am Donnerstag zu wütenden Protesten, im zentral gelegenen Menzel Bouzaine zündeten Randalierer das lokale Hauptquartier der islamistischen Ennahda-Partei an. Vor dem Innenministerium setzten Sicherheitskräfte Medienberichten zufolge Tränengas ein.
Das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) verurteilte die Ermordung Brahmis «mit grösster Entschlossenheit», wie es in einer Mitteilung schrieb. Jene, die für die Tat verantwortlich seien, müssten der Justiz zugeführt werden im Sinne einer unabhängigen und neutralen Untersuchung.
«In diesen delikaten Momenten betont die Schweiz ihre Solidarität mit dem tunesischen Volk und ihre Unterstützung für einen demokratischen Wandel», schrieb das EDA. Jeder müsse sich aus der Spirale der Gewalt heraushalten.
Zweiter Mord innert weniger Monate
Auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande verurteilte «aufs Schärfste» das Attentat, das Erinnerungen an eine Bluttat vor wenigen Monaten weckte: Am 6. Februar war der Oppositionspolitiker Chokri Belaïd auf ähnliche Weise ermordet worden. Die von Islamisten geführte Regierung machte damals Salafisten für die Tat verantwortlich.
Der Anschlag auf Belaïd hatte eine schwere politische Krise in Tunesien ausgelöst. Das nordafrikanische Land war 2011 Ausgangspunkt des arabischen Frühlings, in dessen Verlauf in mehreren arabischen Staaten die langjährigen Machthaber zu Fall gebracht wurden – darunter auch in Tunesien: Dort wurde im Januar 2011 Präsident Zine al-Abidine Ben Ali gestürzt.