Orang-Utans gelten als scheue Baumbewohner. Bislang gingen Forscher davon aus, dass sich die Affen nur selten auf dem Boden fortbewegen. Nun zeigt eine Studie deutscher Forscher, dass sie sich weitaus häufiger am Boden bewegen als bisher angenommen.
«Dass sie etwa gleich häufig in Urwäldern wie in stark gestörten Wäldern auf den Boden kommen, ist ein überraschendes Ergebnis», sagte der Hauptautor der Studie, Andreas Wilting vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin.
Eine der bisher umfangreichsten Studien mit Kamerafallen an Borneo-Orang-Utans (Pongo pygmaeus) zeige, dass die Fortbewegung am Boden eine natürliche Verhaltensweise sei und nicht allein von Zerstörungen des Waldes durch Menschen forciert wurde. Sie biete den Tieren Chancen, aber auch Risiken, sagte Wilting. Die sieben Jahre dauernde Studie wurde Journal «Scientific Reports» veröffentlicht.
Bisher sei man davon ausgegangen, dass sich vor allem die schweren Männchen ausserhalb von Baumkronen fortbewegten und dies auch eher selten. Die Studie habe aber gezeigt, dass ebenfalls Weibchen mit ihren Jungtieren durchaus häufig am Boden anzutreffen seien. «Wir vermuten, dass dies mit der Höhe und Dichte der Baumkronen zusammenhängt», sagte der Biologe.
Anpassung an Störungen
In den Urwäldern mit dichten Kronen von unterschiedlicher Höhe waren die Affen demnach noch häufiger auf dem Boden anzutreffen als in nachhaltig bewirtschafteten Wäldern mit einem gleichmässig hohen Kronendach. Wilting erklärt dies damit, dass es für die Affen möglicherweise schwerer ist, sich in unterschiedlich hohen Baumkronen fortzubewegen als in einem gleichmässig hohen Kronendach.
Die Flexibilität der Orang-Utans bei der Fortbewegung erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich in leicht fragmentierten Wäldern verbreiten können und helfe ihnen möglicherweise dabei, neue Nahrungsquellen zu erschliessen. Andererseits kämen die Affen dadurch häufiger in Kontakt zum Menschen, was das Krankheits- und Jagdrisiko erhöhe.
Scheue Tiere
Orang-Utans gelten als sehr scheue Tiere. Frühere Forschungen beruhten meist auf direkten Beobachtungen durch Wissenschaftler. Das habe möglicherweise zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt, schreiben die Autoren. Mit zahlreichen Kameras habe man die Tiere unauffälliger beobachten können. Für die Studie werteten die Experten rund 640 Aufnahmen von Borneo-Orang-Utans aus den Jahren 2006 bis 2013 aus. Diese stammten aus 16 Gebieten in Malaysia und Indonesien.
Ein Ziel war es, zu untersuchen, wie und ob sich Orang-Utans an Störungen in ihrem Lebensraum anpassen können. Auf Borneo leben demnach 70 Prozent der Orang-Utans in Wäldern, deren ursprünglicher Charakter durch den Menschen verändert wurde.