Oscarmorgestraich

Wenn in der Basler Innenstadt die «Druggedde» losgeht, werden in Los Angeles die AAA-Filme gekürt (live im TV auf ORF und Pro7).  

Gütesiegel? Ob Sternchen oder Oscars, nichts garantiert zwingend für Kinovergnügen. (Bild: Grafik TaWo)

Wenn in der Basler Innenstadt die «Druggedde» losgeht, werden in Los Angeles die AAA-Filme gekürt.

Würden Sie es ablehnen, wenn man Ihnen für das Zwei-Sterne-Hotel zum gleichen Preis eine Suite im Fünf-Sterne-Hotel anbieten würde? Auch bei Filmen greifen wir gerne nach den Sternchen. Wer würde schon in einen Zwei-Sternchen-Film gehen, wenn ein Fünf-Sternchen-Film im Angebot ist. Was sagt uns die Welt der Sternchen?

Erstens, dass wir das Gefühl nicht mögen, im falschen Film zu sein. Zweitens, dass wir mitreden wollen. Drittens, dass wir nicht gerne abseits gestanden haben, wenn etwas los war. Viertens, dass das Leben zu kurz ist – für schlechte Filme. Sternchen geben uns in vielen Lebensbereichen Sicherheit, sei es im Auto, beim Essen oder Wein. Sternchen machen Kritikersätze önologisch verständlich. Sternchen bestärken uns im Gefühl, dass wir Experten verstehen.

Wir wollen von Anlageberatern nicht hören, wie schön bunt eine Anlage in Rohstoffen sein kann oder wie vielschichtig wir sie betrachten können. Wir wollen AAA. Wenn unsere Pensionskasse in einen Hedge-Fund investiert, wollen wir wissen, was dabei rausschaut. Das Modewort von Marx hierzu heisst Mehrwert und gilt neuerdings auch im Rating der Kunstbetrachtung.

Welcher Sterne-Typ sind Sie denn?

Doch passt ein Fünf-Sterne-Film überhaupt zu mir? Bin ich nicht eher so der Zwei-Sterne-Typ, der im Hotel dem Portier die Hand schüttelt? Als Fünf-Sterne-Typ muss man sich mit so vielem auskennen: Darf man in der Badehose durch die Lobby zum Pool? Schlürft man Austern mit dem Trinkhalm? Ich würde mich in einem Ein-Sterne-Hotel nicht beschweren, wenn kein Föhn im Flurklo ist. Aber wenn im Vier-Sterne-Hotel kein Conditioner im Bad steht, muss ich dann abreisen? Was mache ich in einem Fünf-Sterne-Film, in dem mich kein einziger Jump-Cut langweilt? Errate ich die Schuhgrössen der Hauptdarstellerin?

Bei der Speisekarte im Sterne-Restaurant gibt mir der Preis einen Hinweis, wie gut mir das alles schmecken soll. Aber Filme sind meist gleich teuer! Was mache ich, wenn ich vor 300 Kaffeesorten mit ähnlichem Preis stehe? Die Aktion wählen? Und beim Film? Die Action? Da lesen wir doch lieber die Filmkritik. Filmkritikerinnen wissen, wie man es besser macht. Filmkritiker haben es zu ihrem Beruf gemacht, die Arbeitslosigkeit unter Filmkritikern zu verringern. Es sind also ehrenwerte Leute. Aber treffen Expertinnen des Prekariats wirklich meinen prekären Geschmack?

Nach diesem Oscar-Montagmorgen wird es sich weisen: Vielleicht verwandelt sich der «Emergency-Room»-Clowney nach dem Chienbäse schon in einen Ein-Sterne-Schorsch. Oder die Streep intrigiert vor dem Morgestraich als Thatcher-Fünf-Sterne-Gritte im Union gegen die Unions. Nach «Midnight in Paris» fiebert «The Artist» stumm: Auch wenn so eine Oscar-«Druggedde» keine Kunst ist, verheisst sie bestimmt Mehrwert. Ab morgens um vier gilt Downgrade oder Upgrade. AAA!

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12

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