Irgendein mysteriöser Wald kommt mir in die Quere. Die Leute sagen mir, ich dürfe nicht durch. Militärgebiet? Industriezone? Hirsche grasen jedenfalls drin.
Habe dieses Chinon genossen heute morgen, bin rumspaziert. Mein Hotel war plötzlich geschlossen, man hätte mir das gestern sagen können. Eine Frau rief mir aus dem verdunkelten Restaurant zu, sie mache mir gern einen Kaffee, und sie brachte auch frisches Brot. Habs gegessen, bin nochmals rumspaziert, hab dann den Rucksack geschultert, bin zum Schloss hochgestiegen und hab mich heiter erfreut an diesem Städtchen da unten, das wirklich nicht wie ein bewohnter Ort, sondern wie ein feinbearbeiterer Bastelbogen aussah. Hätt es eigentlich gern gezeichnet – aber um diese feingliedrigen Häuser festzuhalten, fehlt mir das Können.
Der Rest war Wandern, ostwärts, zügig, einer neuen Landschaft, einer neuen Gegend zu. Durch Wälder mit wundersam benannten Wegen: Route Forestiere Francoise de Fox zum Beispiel, Carrefour des Belles Cousines, Chant d´Oiseau oder fürstlicher: Forestiere de Marie d´Anjou, Route Forestiere de Charles VII und weiteres Schöne mehr.
In einem Wald mit wiederum prächtigen Wegbezeichnungen sprang an einer Kreuzung plötzlich ein Hund an mir hoch, hinter ihm ein zehnjähriger, dicklicher Junge. Er fragte mich, wohin ich wolle und ich sagte: Da durch. Das sei verboten, sagte er. Ich redete ein bisschen mit ihm und merkte, dass er es wirklich ernst meinte. Da hiess ich ihn, seine Mutter zu holen, die aus einer Art Baracke durchs Fenster schaute. Sie kam, etwa fünfunddreissig, sah sehr verwahrlost und ein bisschen verwirrtl aus. Sie bestätigte mir, dass ich durch diesen Wald nicht gehen dürfe. Die beiden waren mir echt ein bisschen unheimlich und ich kehrte um, schaute auf die Karte und sah in diesem Wald überall Gebäude markiert.
Das reine Misstrauen
Es kam ein Auto des Wegs, einer vom Forstamt auf Patrouille. Der Mann war das reine Misstrauen. Er bestätigte mir, dass ich nicht durchgehen dürfe. Er sagte mir nicht warum, gab mir aber einen Tipp für einen Umweg. Beim Abschied fragte ich ihn, ob das denn Militärgebiet sei. Er schaute mich lange an und sagte nach einer eindrücklichen Pause: Früher ja.
Auf dem Weg um den verbotenen Wald herum, sah ich immer wieder Schilder mit «Verboten» oder «Industriezone» drauf und traf unterwegs noch zwei, drei Einheimische. Alle wurden sehr wortkarg, wenn ich sie nach dem Wald fragte. Jaja, ein bisschen Industrie, sagte einer. Einmal schaute ich zu, wie ein schwerer Lastwagen einen Container ablud. Weit hinten am Wegrand grasten zwei Hirsche, der Chauffeur sagte, hier gebe es sie massenhaft. Dann stolperte ich über überwachsene und verrostete Schienen. Und ein Bauer sagte mir, das sei militärisches Sperrgebiet, ein amerikanisches Camp, aber seit den sechziger Jahren verlassen. Uh, dachte ich mir, wo bin ich da hingekommen!
Einfach weiter, ostwärts. Ein Tal tat sich auf, ein Flüsschen darin, Azay-le-Rideau daran. Ein schmuckes Dörfchen wiederum, plötzlich aufgetaucht aus dem Grün der Wälder, Wiesen und Rebberge. Das Hotel Biencourt ist ein Schmuckstück darin, unvermittelt in einer Häuserzeile, günstig, bescheiden, still. Ich wünschte mir für jeden Abend ein so gediegenes, unscheinbares kleines Haus.
(Azay-le-Rideau, 11. Juni 2002)