Vier Monate nach der Anschlagsserie in Paris ist der mutmassliche Hauptverdächtige Salah Abdeslam in Brüssel gefasst worden. Der 26-jährige Islamist wurde am Freitag bei einer Razzia der Polizei im Brüsseler Stadtteil Molenbeek am Bein verletzt und festgenommen.
Das wurde am Abend von der Staatsanwaltschaft der belgischen Hauptstadt bestätigt. Noch am Freitagabend startete die belgische Polizei einen neuen Grosseinsatz in Molenbeek.
Nach Angaben des belgischen Premierministers Charles Michel wurden neben Abdeslam noch zwei weitere Verdächtige festgenommen, die Staatsanwaltschaft sprach später von fünf Festnahmen am Freitagabend. Darunter seien Abdeslam sowie eine Familie, die ihm Schutz gewährt habe. Laut Michel gratulierte US-Präsident Barack Obama zum erfolgreichen Polizeieinsatz.
Der französische Präsident François Hollande sagte, Abdeslam sei nach den vorliegenden Erkenntnissen unmittelbar an der Vorbereitung und Organisation der Anschläge in Paris beteiligt gewesen.
Seit Wochen war unter Hochdruck nach Abdeslam gefahndet worden. Sein Bruder Brahim war einer der Selbstmordattentäter, die sich am 13. November in Paris in die Luft sprengten. Salah Abdeslam selbst organisierte zumindest zwei Mietautos und zwei Zimmer, die von den Kommandos genutzt wurden.
Am Abend der Anschläge soll er die Stade-de-France-Angreifer mit einem Renault zum Fussballstadion gefahren haben. Womöglich sollte auch er sich in die Luft sprengen: Ein im Pariser Vorort Montrouge gefundener Sprengstoffgürtel gehörte möglicherweise ihm.
Abdeslam wurde am Tag nach den Anschlägen von Gehilfen von Paris aus zurück nach Belgien gefahren – und schlüpfte sogar durch mehrere Polizeikontrollen, weil nach ihm noch nicht gefahndet wurde.
Eher zufällig gefunden
Seine Gehilfen setzten ihn am frühen Nachmittag des 14. November im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek ab. Medienberichten zufolge soll er sich dann drei Wochen in einer Wohnung versteckt haben, in der die Ermittler am 10. Dezember seine Fingerabdrücke sicherstellten.
Doch dann verlor sich seine Spur – bis die Ermittler am Dienstag in einer Wohnung im Brüsseler Vorort Forest offenbar eher zufällig fündig wurden.
Belgische und französische Polizisten wollten im Zuge der Ermittlungen zu den Pariser Anschlägen eine Wohnung durchsuchen, die sie für leer hielten, und gerieten unter Beschuss. Vier Polizisten wurden verletzt, ein Verdächtiger getötet.
Zwei Menschen konnten fliehen – unter ihnen offenbar Abdeslam. Seine Fingerabdrücke wurden aber in der Wohnung gefunden. Am Freitag wurde Abdeslam dann bei einem Grosseinsatz in Molenbeek gefasst und verletzt.
Unbemerkte Radikalisierung
In dem wegen seiner Islamisten-Szene berüchtigten Stadtteil war der Franzose marokkanischer Abstammung aufgewachsen. Bekannte beschreiben ihn als eher gewöhnlichen Jugendlichen, der wie sein Bruder Brahim gerne Fussball spielte, abends ausging und mit Frauen anbändelte. Von einer islamistischen Radikalisierung bemerkte lange niemand etwas.
Doch dann lernte er Abdelhamid Abaaoud kennen, der später einer der bekanntesten belgischen Dschihadisten werden sollte und als Drahtzieher der Anschläge von Paris gilt. Wegen eines Raubes landeten beide 2010 hinter Gittern.
Nachdem er später einige Zeit als Techniker bei den Brüsseler Verkehrsbetrieben gearbeitet hatte, übernahm Abdeslam zusammen mit seinem Bruder Brahim eine Bar in Molenbeek, das «Les Béguines». Dort soll viel Haschisch konsumiert worden sein – im November 2015 wurde die Bar nach dem Fund halbgerauchter Joints geschlossen.
Da hatten sich die Brüder aber bereits aus dem Geschäft zurückgezogen – vermutlich bereiteten sie die Anschläge von Paris vor.
Versagen der Geheimdienste?
Nachdem bei den Attacken von Paris sieben der Selbstmordattentäter sich in die Luft hatten oder erschossen worden waren und Abdelhamid Abaaoud und ein weiterer mutmasslicher Attentäter bei der Erstürmung einer Wohnung im nördlich von Paris gelegenen Saint-Denis gestorben waren, war Salah Abdeslam der vermutlich einzige Flüchtige der drei Kommandos.
Seine Ergreifung ist ein grosser Erfolg für die Ermittler. Doch zugleich werden sich die bereits in der Vergangenheit viel kritisierten belgischen Behörden unangenehme Fragen stellen lassen müssen. Denn sollte sich herausstellen, dass Abdeslam sich tatsächlich seit vier Monaten in Brüssel verstecken konnte, wäre das ein gewaltiges Versagen der Geheimdienste.