Die Politikerinnen und Politiker im Bundeshaus sind sich uneinig, was der Rücktritt von Aussenminister Didier Burkhalter für die Beziehungen der Schweiz zur EU bedeutet. Viele erwarten eine Stagnation, was je nach politischer Ausrichtung begrüsst oder bedauert wird.
Der Bundesrat will sich am Freitag mit dem Europadossier befassen. Dabei zeichnet sich ein Grundsatzentscheid ab. Der Bundesrat werde seine Position wohl justieren, sagte CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) gegenüber der sda.
Burkhalter sei offenbar nicht willens, eine andere Europapolitik des Bundesrates mitzutragen. Das sei bedauerlich, denn alle Bundesratsmitglieder hätten die Entscheide der Regierung mitzutragen. Burkhalter habe sich sehr stark für ein Rahmenabkommen mit der EU eingesetzt. Möglicherweise habe er keinen Weg gesehen, aus dieser Position wieder herauszukommen.
Für die Schweiz komme der Rücktritt zu einem ungünstigen Zeitpunkt, sagte Pfister. Sie werde zu einer Stagnation in den nächsten Monaten führen. Für die Verhandlungen mit der EU brauche es einen Aussenminister, der das Dossier in den Händen halte. Mit dem Rahmenabkommen eile es zwar nicht, sagte Pfister. Doch nun sei alles blockiert, eine neue Dynamik könne frühestens im Herbst entstehen.
Bundespräsidentin im Fokus
Anders beurteilt SP-Aussenpolitiker Tim Guldimann (ZH) die Situation. Aus seiner Sicht hängt nun alles von Bundespräsidentin Doris Leuthard ab. Diese habe sich dafür ausgesprochen, vorwärts zu machen. Die Frage sei nun, ob sie dabei bleibe.
Die mit der EU ausgehandelte Lösung, für die sich Burkhalter einsetzte, ist aus Guldimanns Sicht die bestmögliche. Es sei auch falsch zu meinen, dass es keinen Zeitdruck gebe. Den gebe es sehr wohl, sonst gerate die Schweiz in den Brexit-Schlamassel. In der SP-Fraktion sehen das allerdings nicht alle so.
Rahmenabkommen gestorben
Auch in der SVP-Fraktion gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Interpretation des Rücktritts sei einfach, sagte Toni Brunner (SG). Burkhalter habe sich im Bundesrat nicht durchsetzen können und habe nun die Konsequenzen gezogen. Das Rahmenabkommen sei damit gestorben.
Auch Anpassungen – etwa Zugeständnisse der EU bei der umstrittenen Frage der Zuständigkeit im Falle von Streitigkeiten zwischen Bern und Brüssel – würden nichts ändern. Der Bundesrat habe offenbar eingesehen, dass das Rahmenabkommen chancenlos sei. Roger Köppel (SVP/ZH) dagegen zeigte sich überzeugt, dass der Bundesrat und das Parlament dieses Abkommen wollten. Daran ändere der Rücktritt Burkhalters nichts.
Auch FDP skeptisch
In der FDP-Fraktion standen am Mittwoch nicht die Konsequenzen für die Beziehungen zur EU im Zentrum. Fraktionschef Ignazio Cassis (TI) äusserte primär sein grosses Bedauern über den Rücktritt. Burkhalter sei der ideale Aussenminister, sagte er. Er habe die Schweiz immer gut vertreten.
FDP-Präsidentin Petra Gössi (SZ) erinnerte in der Europa-Frage an die roten Linien, welche die FDP gezogen habe: Fremde Richterentscheide, fremde Gerichte und fremdes Recht wolle die Partei nicht einfach so akzeptieren. Sie betonte aber, der Inhalt des Rahmenabkommens stehe noch nicht fest.
Neue Dynamik möglich
Burkhalter selbst sagte am Mittwoch, das Dossier Europa werde sich kaum in die Richtung entwickeln, die er sich wünsche. Ein Wechsel im Bundesrat werde aber möglicherweise neue Dynamik bringen.
Zuletzt war Burkhalter im Zusammenhang mit dem Europa-Dossier in allen Fraktionen in die Kritik geraten. Die Forderung wurde laut, das Verhandlungsmandat neu zu definieren. So lange sich die Schweiz und die EU nicht über die institutionellen Beziehungen einigen können, bleiben viele andere Dossiers blockiert.
Innenpolitisches Risiko
Zeitweise hatte sich Burkhalter für eine Verknüpfung des Rahmenabkommens mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative eingesetzt. Auch damit stiess er aber auf Widerstand. Der Bundesrat hielt das innenpolitische Risiko für zu gross.
Bei der EU-Kommission hiess es auf Anfrage, man äussere sich nicht zu nationalen Rücktritten. In den Gesprächen mit der Schweiz gebe es aber seit dem letzten Treffen zwischen Präsident Jean-Claude Juncker und Bundespräsidentin Doris Leuthard am 6. April gute Fortschritte.
Nachfolger erbt heikle Dossiers
Wie auch immer der Bundesrat am Freitag über das weitere Vorgehen entscheidet: Auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin Burkhalters warten im Europa-Dossier keine leichten Aufgaben.
Zu den heiklen Dossiers des neuen Aussenministers oder der neuen Aussenministerin wird auch die Entwicklungszusammenarbeit gehören. Das Parlament hat signalisiert, dass es in diesem Bereich sparen will.
Eine weitere Herausforderung im Aussendepartement stellt die Vermittlerrolle der Schweiz in Konflikten dar. Im letzten aussenpolitischen Bericht wies der Bundesrat auf zunehmende Spannungen hin. Es sei von einer Zeit erhöhter Unberechenbarkeit auszugehen.